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Meinung: Solange er Staatsmann ist

Von gerd Appenzeller Ich will haben, dass..

Von gerd Appenzeller

Ich will haben, dass...“, ist eine der Formulierungen aus der frühen Kanzlerphase des Gerhard Schröder, die haften geblieben sind. Aber nach dieser Devise kann man vielleicht engeren Mitarbeitern das Oben und Unten verdeutlichen. Politik spurt nach solchen Anweisungen nicht, weder in Deutschland noch in Europa. Da der Bundeskanzler das inzwischen weiß, geht er mit der EU-Kommission nun auch anders um als noch vor wenigen Monaten. Brüssel pariert nicht auf „Ich will haben, dass“, auch wenn es vom Regierungschef des wichtigsten Nettozahlers der Union kommt. Aber Kommissionspräsident Romano Prodi ist in seinem Wesen viel zu elastisch, als dass er dem Kanzler nicht ein Forum geboten hätte, seine Bedenken vorzutragen. Nun kennen beide Seiten die Argumente der jeweils anderen besser – nachgegeben hat, soweit erkennbar, niemand.

Das ist auch nicht nötig. Entscheidend ist die langfristige Strategie, nicht der momentane taktische Erfolg. Der Bundeskanzler erwartet, dass die EU auf die differenzierte Industriestruktur Deutschlands Rücksicht nimmt und auf die Bundesrepublik nicht Regelungen zu übertragen sucht, die in einem agrarisch strukturierten Mitgliedsland sinnvoll sein können. Er betreibt damit nicht nur deutsche Interessenpolitik, was schon alleine rechtens und dem Wählerauftrag entsprechend wäre. Er ruft bei der EU-Kommission auch in Erinnerung, dass eine Schwächung der deutschen Wirtschaftsstruktur auch für die gesamte EU und ihren Haushalt schlimme Folgen hätte. Fast ein Viertel des jährlichen EU-Budgets von etwa 100 Milliarden Euro wird von Deutschland bestritten.

Da knapp die Hälfte dieser 100 Milliarden wiederum für Agrarsubventionen ausgegeben werden, konzentriert sich Schröder – wiederum völlig zu Recht – auf eine Reform dieses Bereichs. Deshalb hat er mit den Finnen einen Tausch der anstehenden halbjährigen EU-Präsidentschaft ausgehandelt, eine ungewöhnliche, aber erstaunlich raffinierte Maßnahme. Der jeweilige Ratspräsident ist zu weitestgehender Neutralität verpflichtet. Er kann daher nationale Interessen kaum durchsetzen. Dies haben sich während der letzten deutschen Präsidentschaft 1999 Frankreich und Spanien in einer ziemlich dreisten Weise zu Nutzen gemacht. Paris verschleppte die überfällige Agrarreform, Spanien die der Strukturfonds.

Im zweiten Halbjahr 2006 muss der nächste Siebenjahresplan für die mittelfristige Finanzplanung der EU verabschiedet werden – und Deutschland hätte erneut die Präsidentschaft, übrigens auch noch parallel zum Bundestagswahlkampf. Die Deutschen würden also erneut beim Versuch scheitern, eine Reform durchzusetzen. Der Tausch mit den Finnen – sie präsidieren nun 2006, die Deutschen erst 2007 – macht dem künftigen Kanzler (Schröder oder Stoiber) also den Rücken frei, endlich die überfälligen Neuerungen durchzusetzen. Da die EU dann nicht mehr 15, sondern vermutlich 25 Mitglieder hat, ist absehbar, was für ein Verhandlungsmarathon auf den bemitleidenswerten finnischen Ratspräsidenten zukommt.

Der Bundeskanzler bediente sich jetzt in Brüssel der vermeintlichen Rücksichtslosigkeit der Europäischen Kommission gegenüber den Deutschen freilich auch als Vehikel, um von hausgemachten Problemen abzulenken. Das renommierte „International Institute for Management Development“ im schweizerischen Lausanne hat den Deutschen vor wenigen Tagen kühl bestätigt, dass sie im Hinblick auf ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit auf einen bescheidenen 15. Rang zurückgefallen seien, nachdem sie in der Zeit der Morgenröte von Schröders Kanzlerschaft schon einmal bis auf Platz 11 vorgerückt waren. Mangelnde Effizienz der Regierungspolitik machen die schweizerischen Ökonomen als Gründe für den Absturz aus. Die meisten EU-Staaten schneiden deutlich besser als die Deutschen ab. Besonders bezeichnend: Bei der Beurteilung des gesetzlichen Regelwerks für die Arbeitsmarktpolitik landet die Bundesrepublik auf einem verheerenden 49. Platz.

In einem anderen Punkt freilich rügt Schröder die Kommission zu Recht. Sie schaut nicht genug über ihre Grenzen, macht zu gerne Schrebergartenpolitik. Damit aber darf sich die Exportnation Deutschland nicht abfinden - wie immer ihr Kanzler gerade auch heißt.

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