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Meinung: Sozialhilfe: Ab in die Produktion

Es ist ein Spiel in zwei Sätzen aus dem deutschen Vorwahlkampf. Sein Thema: der marode Arbeitsmarkt in Deutschland.

Es ist ein Spiel in zwei Sätzen aus dem deutschen Vorwahlkampf. Sein Thema: der marode Arbeitsmarkt in Deutschland. Sein Imperativ: Sozialhilfeempfänger in die Produktion. Jetzt wissen wir wenigstens, wie Sozialpolitiker großer Parteien sich den Sozialstaat vorstellen: als eine Zwangsveranstaltung.

Erster Satz: Roland Koch (CDU) fährt für ein paar Stunden nach Wisconsin/USA. Dort entdeckt er das Modell "Wisconsin works" und ruft: So etwas sollen wir auch haben. Wer nicht arbeitet, dem entziehen wir die Stütze. Koch ignoriert, dass die USA ihr Reformprogramm der Sozialhilfe in guten Zeiten überbordenden Wachstums eingeführt haben, dass es flankiert wurde von vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen für diejenigen, die in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen - und vor allem: Dass es nur funktioniert unter den Bedingungen eines flexiblen Arbeitsmarktes, bei dem die Mindestlöhne bei 5,15 Dollar liegen. Zu deutschen Tariflöhnen Sozialhilfeempfänger arbeiten zu schicken, kann man sich schenken.

Zweiter Satz: Rudolf Scharping muss sich die Arbeitsdienstprogramme nicht in Wisconsin (USA) anschauen. Er wohnt ja schon auf der Hardthöhe (Bonn/Deutschland), wo man sich mit Befehl und Gehorsam auskennt. Sein Vorschlag aber setzt der Kochschen Idee noch eins drauf: Wer Sozialhilfe kriegt, taugt auch für soziale Dienste - also ab mit ihm in die Alten- und Krankenpflege oder in den Umweltschutz. Da wird bei allen Beteiligten Freude aufkommen - bei den Sozialhilfeempfängern, die bekanntlich ihre Lehre bei der Caritas gemacht haben, wie bei den Alten und Kranken, die auf solch motivierte Sozialarbeiter schon lange warten.

Jetzt steht es Eins zu Eins und wir beobachten gespannt, wie es die nächsten 13 Monate bis zur Wahl weitergeht. Was Koch und Scharping beide verschweigen: Gesetzlich ist der ganze Zwangsvollzug, den sie vorschlagen, längst möglich. Dass er nicht angewandt wird, hat Gründe. Aber dafür interessieren unsere beiden Sozialpolitiker sich auch nicht sonderlich. Sie könnten es aber heute schon so haben, wie sie vorgeben, dass sie es in Zukunft haben wollen.

Unterdessen wird aber eines klar: Man muss den Sozialstaat vor den Sozialpolitikern schützen. Das tut man am besten, indem man an ein paar Grundlagen erinnert: Im Sozialstaat gibt es keine Pflicht zur Arbeit (allerdings auch kein Recht auf Arbeit). Im Gegenteil: Ein liberaler Sozialstaat lässt jedermann das Recht auf Faulheit. Er zwingt sogar seine Bürger dazu, mit Steuern dafür zu sorgen, dass niemand unterhalb des Existenzminimums lebt. Darüber hinaus ist freilich Faulheit zu Lasten und auf Kosten der Allgemeinheit verboten.

Ein liberaler Sozialstaat soll für alle Anreize setzen, eine Arbeit aufzunehmen - für alle, die das wollen. Das geht nur, wenn sich für die Unternehmen auch einfache Arbeit rechnet. Das ist in Deutschland bekanntlich nicht der Fall. Vorschläge, wie es anders werden könnte, gibt es längst und zuhauf. Im Kern laufen sie darauf hinaus, auch am Arbeitsmarkt Wettbewerb zuzulassen - und Arbeit zu flexibilisieren.

Rudolf Scharping weiß das. Er will mit seinem Vorschlag aber gar keine Arbeit schaffen, sondern einen dritten Sektor öffentlicher Sozialarbeit einrichten. Das würde zwar den Beteiligten wenig nützen, hätte aber einen Effekt: Die Beschäftigungsstatistiken sähen etwas besser aus. Wenn sich die Reformdebatte in Deutschland noch lange auf der Höhe von Koch und Scharping bewegt, ist das Diskussionsniveau bald nicht mehr zu retten, für den maroden Arbeitsmarkt aber nichts gewonnen.

Rainer Hank

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