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Meinung: Sozialhilfe: Ein Experiment mit Juckpulver

Hessens Ministerpräsident Roland Koch, dessen Partei einst mit dem Slogan "Keine Experimente" Wahlen gewann, wagt sich jetzt selber ins Politiklabor. Er möchte an der Sozialhilfe experimentieren, und dafür braucht Koch, weil die Sozialhilfe über ein Bundesgesetz geregelt ist, angeblich eine "Experimentierklausel".

Hessens Ministerpräsident Roland Koch, dessen Partei einst mit dem Slogan "Keine Experimente" Wahlen gewann, wagt sich jetzt selber ins Politiklabor. Er möchte an der Sozialhilfe experimentieren, und dafür braucht Koch, weil die Sozialhilfe über ein Bundesgesetz geregelt ist, angeblich eine "Experimentierklausel". Dann könnte er, so die Vorstellung des Ministerpräsidenten, den Druck auf Leistungsempfänger erhöhen, eine Arbeit anzunehmen. Zugleich soll der Staat bei der Arbeitssuche besser helfen. Wer sich dennoch verweigere, sagt Koch, müsse sich auf ein "sehr bescheidenes Leben" einstellen.

Zum Thema Online-Umfrage: Sozialhilfe nach US-Vorbild? Noch hat der Versuch nicht begonnen, da knallt und zischt es auch schon - offenbar hantiert Koch mit Sprengstoff. Doch aus der Front derjenigen, die den Vorstoß empört als Anschlag auf die Armen ablehnen, ragt seltsam schräg die Haltung des zuständigen Arbeitsministeriums heraus: Koch komme zu spät; seine aus dem US-Staat Wisconsin mitgebrachten Ideen seien alt, im Gesetz bereits vorgesehen oder würden, was die Hilfe betrifft, gerade ausprobiert. Experimentiert Koch also statt mit Schwarzpulver doch nur mit Juckpulver, das gerade im Sommer besonders gut wirkt?

Tatsächlich kann schon heute jenen Antragstellern die materielle Hilfe verweigert werden, die zumutbare Arbeit ablehnen. Und in dutzenden Modellprojekten im ganzen Land wird bereits erprobt, wie Sozialhilfeempfängern anders als mit Geld oder Kühlschränken geholfen werden kann. Zudem verliert das Modell "Wisconsin works", das Koch als Vorbild dient, bei näherer Betrachtung doch erheblich an Glanz - nicht, weil es zu sozialbrutal wäre, sondern weil die Verwaltung einen hohen personellen und finanziellen Aufwand betreibt, um die Leistungsempfänger besser betreuen und kontrollieren zu können.

In Deutschland gibt es im Zusammenhang mit den zu hohen Ausgaben für Sozialhilfe drei wesentliche Probleme: Erstens lohnt sich für viele Leistungsempfänger Arbeit einfach nicht; zweitens stehen mit der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, die einerseits von den Kommunen, andererseits vom Bund bezahlt werden, zwei wenig verschränkte Systeme nebeneinander; drittens sind die Mitarbeiter in den Sozialämtern entweder überfordert oder lustlos - es fehlt ein Anreiz zu effektiver Arbeit. Die Bundesregierung hat sich den ersten beiden Problemen ganz vorsichtig genähert. Von Lohnergänzung und "Kombilohn" ist immerhin die Rede, aber das Arbeitsministerium lässt sich Zeit: Erst in fünf Jahren soll der Erfolg zu erkennen sein.

Aber es ist ja auch schwierig, das wirre, auf verschiedenen Ebenen geknüpfte Sozialnetz zu entknoten, ohne die Fäden zu zerreißen. Und der staatliche Arbeitsmarkt, auf den viele Sozialhilfeempfänger verwiesen werden müssten, lässt sich nicht endlos blähen. Die öffentlich geförderte Billigkonkurrenz macht vielen mittelständischen Unternehmern zu schaffen. Wer die Müllabfuhr privatisiert, kann nicht zugleich ein Heer von ABM-Besenschwingern auf die Straße schicken. Wie das gelöst werden soll, sagt Koch nicht.

Die alte, CDU-geführte Bundesregierung hatte die Sozialhilfe vereinheitlicht. Koch will das Gegenteil: den Wettbewerb der Länder auch in diesem Punkt. Bald würde es sich kein Bundesland mehr leisten können, auf scharfe Kontrollen und Zwangsmaßnahmen zu verzichten. Andernfalls hätten sie ein ganz neues Zuwandererproblem. Aber haben die Länder auch genug Hilfe zu bieten? Oder läuft es am Ende doch nur darauf hinaus, den Sozialhilfesatz zu senken?

Koch plant ein Experiment mit ungewissem Ausgang - ein Experiment mit Menschen, von denen viele schon heute ein recht bescheidenes Leben führen. Der Vorstoß bleibt deshalb zwiespältig. Er bringt Bewegung in einen Prozess, der arg zäh vorankommt. Föderaler Wettbewerb kann hier durchaus nützlich sein. Aber der Ruf nach der "Experimentierklausel" nährt Zweifel an der Glaubwürdigkeit: Warum will Koch den Wettbewerb mit Hessen als einem quasi geschützen Markt eröffnen? Es braucht kein anderes Gesetz und kein Experiment. Koch könnte einfach zeigen, was man tun kann, wenn der Staat zu weich ist beim Zwang und zu schlecht bei der Hilfe. Der Nachteil: Dabei knallt es nicht. Doch daran ist Koch sehr gelegen.

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