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Sozialstaat: Was man so verdient

Sozialhilfe sollte niedriger als kleine Gehälter sein. Aber was ist, wenn die weiter schrumpfen? Der Gedanke an Mindestlöhne ist dann recht naheliegend.

Wo Guido Westerwelle recht hat, hat er recht. Wenn er fordert, der Bundestag solle eine Debatte über den Sozialstaat führen, bringt er den Streit über alle Wortklaubereien hinaus und über jede Rechthaberei hinweg an den Ort, an dem er ausgetragen werden muss – im Deutschen Bundestag, in einem öffentlichen Diskurs, dem jeder im Lande zuhören und den jeder im Protokoll nachlesen kann, damit man weiß, wer was gesagt hat.

Warum das wichtig ist? Weil die politischen Gegner des FDP-Vorsitzenden so tun, als wolle der den Sozialstaat abschaffen, womöglich gar noch zugunsten von Hoteliers, und Westerwelle wiederum lässt nichts unangedeutet, den Eindruck zu erwecken, Hartz IV sei vor allem ein gigantisches Missbrauchsinstrumentarium, geschaffen von Rot-Grün und perfektioniert in der großen Koalition. Dass es eher mehr als weniger raffiniertes Austricksen der staatlichen Unterstützungsmöglichkeiten gibt, ist bekannt. Wohl nie war das Ausplündern der staatlichen Systeme so verbreitet wie zur Zeit der Kohl’schen schwarz-gelben Koalition der Vorwendezeit, damals wurde nämlich kaum was dagegen getan.

Im Kern geht es heute aber um etwas anderes, um die Ausdeutung des „Lohnabstandsgebotes“. Diese Bestimmung des Sozialgesetzbuches besagt, dass der Regelsatz staatlicher Unterstützung niedriger sein muss als das Einkommen der unteren Lohngruppen. Sonst verschwände jeder Anreiz, überhaupt einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. In einer seiner Polemiken nannte Westerwelle als Beispiel eine verheiratete Kellnerin mit zwei Kindern, deren Nettoeinkommen geringer sei als ihre möglichen Bezüge aus Hartz IV.

Dass das Beispiel zutrifft, wird bestritten. In der Sozialdemokratie herrschte lange die Vorstellung, ein Arbeitseinkommen müsse so bemessen sein, dass die Familie oder zumindest der Lohnbezieher davon leben könne. In dem Maße, in dem in den letzten Jahren reguläre Stellen in schlecht bezahlte Teilzeitjobs zerschlagen wurden, schrumpften die verfügbaren Nettoeinkünfte jedoch. Daraus wuchs die Idee des Kombilohns – der Staat legt drauf, wenn das Geld sonst nicht zum Leben reicht. Kleines Einkommen ist besser als kein Einkommen, lautete der Lehrsatz. Nun kann man es sozialromantisch nennen, wenn jemand darüber nachdenkt, ob eine miese Bezahlung für einen Ganztagsjob mit der Menschenwürde verträglich sei. Aber wenn man, wie Guido Westerwelle, aus den Tatsachen nun offenbar ableitet, dann müsse eben die Sozialhilfe immer weiter absinken, wenn die Reallöhne nach unten rutschen, muss man das schon als zynisch bezeichnen.

Vielleicht ist da der Gedanke an Mindestlöhne – ein Wort, das FDP- Leuten wohl Brechreiz verursacht – doch eher naheliegend. Parteien, die für mehr als 15 Prozent der Wähler eintreten, dürfen, nein, müssen sich nämlich darüber Gedanken machen, wie man diese Gesellschaft zusammenhält. Vertreter von Minoritäten müssen daran natürlich nicht so sehr denken.

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