zum Hauptinhalt
Das Märkische Viertel wird in großem Stil saniert und zieht jetzt auch wieder Mieter an. Die Wohnungsnot ist aber noch nicht so groß, dass hippe Leute herziehen würden.

© Thilo Rückeis

Sozialstrukturatlas: Berlin bleibt eine arme Stadt

Berlin bleibt arm – daran ändern auch teure Wohlstandsinseln im Zentrum nichts. Denn von den neuen Jobs profitieren vor allem gut ausgebildete Zuzügler. Zum Problem könnten bald die Ränder Berlins werden - wenn sich dort in Zukunft die Probleme ballen.

Hatte jemand geglaubt, nach all den positiven Meldungen über die Boomtown an der Spree, über Wirtschaftswachstum und Zuzugsrekord, es sei alles im grünen Bereich in Berlin? So grün, wie es die Flecken im Sozialatlas sind, wo Menschen mit hochbezahlten Jobs, guter Bildung und langer Lebenserwartung wohnen?

In Wahrheit bleibt Berlin eine arme Stadt. Neben Enklaven des Wohlstands zeigen alarmrote Zonen, wo sich Bildungsferne, verfestigte Arbeitslosigkeit und schlechte Gesundheitsprognosen konzentrieren. Zwei Welten in einer Stadt – wie in jeder Metropole eben, wie in Paris oder London. Es ist nicht zynisch, dies festzustellen. Zynisch wäre es, einen solchen Flickenteppich der sozialen Unterschiede einfach hinzunehmen. Darin liegt der Wert des alle vier Jahre erhobenen Sozialatlasses: Daten zu liefern für notwendige Interventionen in einer sich rasant verändernden Stadt.

Der neue Sozialatlas bildet eine veränderte Stadtgeographie ab. Er liefert eine Momentaufnahme und zeigt, wo die Gentrifizierung Spuren hinterlassen hat. Der Aufstieg von Pankow auf die vorderen Plätze spiegelt den Zuzug eines finanzkräftigen Mittelstands wieder, der Absturz von Spandau ist ein Menetekel für künftige Armutswanderung. Kennzeichnend für die kleinteilig zersplitterte Stadt ist aber auch, dass Friedrichshain- Kreuzberg insgesamt einen großen Sprung nach vorn machte, das Gebiet um den Moritzplatz mit seinen gentrifizierungsresistenten (weil unattraktiven) Sozialbauten jedoch das Schlusslicht ist. Drei von vier Kindern stammen dort aus Hartz-IV-Familien.

Im Koalitionsvertrag von 2011 hatten SPD und CDU vereinbart, eine ressortübergreifende Strategie gegen Kinderarmut zu entwickeln. Gehört hat man seitdem kaum noch etwas davon. Es sei auch gewarnt: Sozial- und Gesundheitspolitik kann zwar – wie vom Senat angestrebt – dafür sorgen, dass es eine gleichmäßige Facharzt-Verteilung in der Stadt gibt, nicht aber die hohe Zahl von Sozialhilfeempfängern reduzieren. Dazu gehört mehr. Die stille Erwartung, dass ein Aufschwung auch soziale Brennpunkte entschärft, reicht nicht aus.

In den Großsiedlungen am Stadtrand gibt es kaum noch freie Wohnungen

Arbeitsplätze sind zwar das beste Mittel gegen Armut. Von den neuen Jobs, so zeigt sich freilich, profitieren vorrangig gut qualifizierte Zuzügler und nicht Langzeitarbeitslose ohne Qualifikation und Aufstiegsehrgeiz. Der weitere Zuzug nach Berlin, wo bis zum Jahr 2025 mehr als 250000 Menschen zusätzlich erwartet werden, wird neue Herausforderungen schaffen. Vermutlich werden sich die alarmroten Zellen im Sozialatlas dann andernorts finden. Die steigenden Mieten im Zentrum haben längst einen stillschweigenden Sturz an die Peripherie in Gang gesetzt.

In den Großsiedlungen am Stadtrand, die noch vor kurzem über hohe Leerstände klagten, gibt es kaum noch freie Wohnungen. Viele Familien können sind Wohnraum nur noch im Märkischen Viertel oder in Hohenschönhausen leisten, wo die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Gesobau oder Howoge im Gegenzug hohe Summen in die Modernisierung gesteckt haben. Geht die Verdrängung im Zentrum aber ungebremst weiter, muss die Politik rechtzeitig reagieren, um ein Kippen der Kieze am Stadtrand zu verhindern. Der Sozialatlas kann nicht mehr sein als eine Handreichung, um kluges Handeln zu begründen. Gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen, dafür ist Politik da, das bleibt beständige Verpflichtung und Aufgabe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false