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Meinung: Spatzenhirne hier, Spitzenhirne dort

Deutschlands geistige Außenbilanz weist ein dickes Minus auf

Alexander S. Kekulé Theoretisch klingt alles so einfach. Um Deutschland wirtschaftlich auf Vordermann zu bringen, muss die Regierung nur die Kriterien des „Magischen Vierecks“ einhalten: hoher Beschäftigungsgrad, Wirtschaftswachstum, stabiles Preisniveau und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Seit Generationen versuchen sich deutsche Politiker im Jonglieren mit diesen vier Bällen, von denen magischerweise noch keiner ganz heruntergefallen ist.

Trotzdem geht es neuerdings nicht recht bergauf mit der Republik. Die Bundesregierung bastelt an der Sanierung der Staatsfinanzen, brav nach der Gebrauchsanweisung des Magischen Vierecks. Was jedoch fehlt, ist eine Vision von der künftigen Positionierung der Nation im globalen Wettbewerb. Wenn die Welt zu einem Dorf zusammenwächst, kann nur überleben, wer auf dem globalen Dorfplatz etwas Besonderes zu bieten hat. Doch welche Spezialität wird der Deutsche Michel in seiner Bude verkaufen, sagen wir im Jahr 2020?

Im Land der Dichter und Denker hat der Exportschlager „Know-how“ Tradition. Früher gingen deutsche Geistesblitze weg wie warme Semmeln. Früher, das war einmal: als etwa ein Großteil der Nobelpreisträger aus Deutschland kam. Deutsche Pharmaunternehmen waren die „Apotheke der Welt“ – heute gelten sie großenteils als Übernahmekandidaten. Einst legten deutsche Wissenschaftler die Grundlagen der Chemie und der Biochemie – heute wissen die meisten US-Forscher nicht einmal, woher die im Englischen unaussprechlichen Bezeichnungen chemischer Formeln und Enzyme kommen.

Als Ursache der Innovationshemmung haben Migrationsforscher neuerdings den „Brain Drain“ ausgemacht. Die alte Sorge um den Exodus der klugen Köpfe wird nun erstmals durch konkrete Zahlen belegt: Rund 150 000 Deutsche haben im Jahr 2004 das Land verlassen, die größte Auswanderungswelle seit den 50er Jahren. Der Anteil der Promovierten unter den Auswanderern ist etwa zehnmal höher als an der Gesamtbevölkerung. Dagegen finden sich unter Einwanderern weit weniger Akademiker und Spitzenkräfte – die intellektuelle Außenbilanz der Bundesrepublik weist ein dickes Minus auf.

Doch wie können deutsche Spitzenforscher motiviert werden, nach einem – durchaus erwünschten – Auslandsaufenthalt wieder zurückzukommen? Wie kann Deutschland für hoch qualifizierte ausländische Wissenschaftler attraktiver werden?

Die Antwort ist in der Struktur der Spitzengehirne selbst zu finden. Was gute Forscher motiviert, ist nicht die Aussicht auf eine deutsche Professur auf Lebenszeit. Auch das Schulterklopfen mittelmäßiger Kollegen und die Wahl in einen honorigen Fakultätsausschuss lassen sie kalt. Spitzenforscher wollen nur eines: spitzenmäßige Forschung betreiben. Dafür brauchen sie zunächst einmal viel Geld und hervorragende Kollegen. Daneben wollen sie sich möglichst um nichts kümmern müssen – keine Bürokratie, keine Existenzsorgen, kein Gezerre in den Gremien. Forschung bedeutet immer auch, etablierte Thesen radikal in Frage zu stellen. Wer darin virtuos ist, zwängt sich nicht in ein Prokrustesbett. Die Arbeitsbedingung, die Spitzenforscher am dringendsten benötigen, ist Freiheit.

Um den „Brain Drain“ in einen „Brain Gain“ nach Deutschland umzukehren, sind zwei Dinge nötig. Erstens muss eine Spitzeneinrichtung für die Forschung geschaffen werden, in der wahrhaft paradiesische Verhältnisse herrschen. Die Forscherelite wird von Stanford, Harvard oder Biopolis in Singapur wie magisch angezogen, weil sie dort ein Paradies für Wissenschaftler erwartet (und teilweise auch vorfindet). Da solche Paradiese teuer sind, kann sich die Bundesrepublik derzeit höchstens eines leisten.

Genauso wichtig ist, zweitens, das Bekenntnis der Nation zu Wissenschaft und Innovation. Im Zeitalter der wissenschaftlich-technischen Revolution ist „Innovationsfähigkeit“ zum fünften Eckpfeiler erfolgreicher Wirtschaftspolitik geworden. Hoffentlich bemerkt das die Regierung, bevor ihr beim Jonglieren die Bälle entgleiten.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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