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Meinung: SPD-Programm: Von gestern für morgen

Wozu gibt es eigentlich noch Parteiprogramme? Sie sind, zumindest bei den Volksparteien, zwangsläufig ziemlich langweilig, denn sie müssen vermeiden, was Texte interessant macht: Zuspitzungen.

Wozu gibt es eigentlich noch Parteiprogramme? Sie sind, zumindest bei den Volksparteien, zwangsläufig ziemlich langweilig, denn sie müssen vermeiden, was Texte interessant macht: Zuspitzungen. Denn die sind Ausgrenzungen, und der Sinn von Parteiprogrammen ist es, Kompromisse zu formulieren, mit denen alle leben können: der linke und rechte Flügel, Arbeiter und Unternehmer, Schwule und Pastoren, Feministinnen und Machos.

Außerdem sind Programme nicht mehr so wichtig. Früher war es ein beliebtes Spiel, dass die SPD-Linke der SPD-Regierung das Parteiprogramm vor die Nase hielt und Verrat murmelte. Heute weiß sowieso jeder, dass der Pragmatismus regiert und der Rest unter Finanzierungsvorbehalt steht. Verrat hat in postideologischen Zeiten keine Konjunktur, und darunter leidet naturgemäß auch das, was verraten werden könnte.

Zudem schwindet die Bedeutung der Parteiöffentlichkeit. Schröder redet mit seinen Genossen nicht mehr mittels Grundsatzpapieren und über das Parteiorgan "Vorwärts", sondern via TV. Wozu also noch all diese mühseligen Programmdiskussionen, wir haben doch Sabine Christiansen?

Weil jede Partei ein Selbstgespräch braucht - auch wenn ihr Chef Schröder heißt. Vielleicht sogar gerade dann. Denn je ausgefeilter die Inszenierungen werden, desto größer wird der Wunsch nach Inhalten. Politik ist ein Spiel mit Symbolen geworden, und gerade deshalb wollen wir den ernsten Kern kennen. Das liegt auch in der Logik der Medien selbst, die das Sperrige, das Nicht-Medienförmige brauchen, um nicht in einer Selbstbespiegelung leer zu laufen.

Rudolf Scharping hat jetzt vorgestellt, wie das neue SPD-Programm aussehen soll. Fertig ist es nicht, aber die Richtung ist erkennbar: eine Mixtur aus "Schröderismus" und Traditions-Sozialdemokratie, aus wolkiger Zivilgesellschafts-Rhetorik und Globalisierungskritik. Dieser Entwurf ist (für ein Programm) weniger eine hehre Versammlung von Wünschenswertem als ein Spiegel des real existierenden SPD-Bewusstseins - und seiner blinden Flecken.

Gerechtigkeit buchstabiert die Schröder-SPD in ihrer Schrumpfform - als Chancengleichheit. Politik soll nicht regeln, sondern sich mit dem Moderieren bescheiden. Das Zauberwort heißt nicht mehr wie früher "Mehr Staat", sondern: Zivilgesellschaft. Das passt ideal in ein Volksparteiprogramm. Es passt viel hinein, eigentlich alles. Da kann sich wirklich niemand ausgegrenzt fühlen. Deshalb passt es so gut zu Schröders "Mal so, mal so"-Politik.

Bei der Globalisierung ist hingegen die Mühe zu erkennen, erst überhaupt mal zu klären, worum es geht. Globalisierung heißt "Beschleunigung, Entgrenzung des Raums, Auflösung traditioneller Bindungen". Alles wird schneller und effizienter, doch immer mehr bleiben dabei außen vor. Das ist richtig, und eine Revision des Schröder/Blair-Papiers, in dem gar nichts über Weltwirtschaftsordnung stand. Allerdings traut sich die SPD nicht, konkret zu werden. Die Forderung nach der Kontrolle internationaler Finanzmärkte oder die "Tobin-Tax", die vorsichtige Besteuerung spekulativer Gewinne, fehlt. Offenbar standen alle Ideen, die von Ferne an Oskar Lafontaine erinnern könnten, auf dem Index ganz oben. Der Preis ist ein Mangel an Klarheit.

Und der blinde Fleck? Nichts zu Familien und Kindern. Kein Wunder, denn der "Schröderismus" und der Sozialdemokratismus sind auf Arbeit, Bildung und Effizenz fixiert. 2010 aber, das steht auch in diesem Entwurf, wird in Deutschland wegen der demographischen Entwicklung Arbeitskräftemangel herrschen. Schon deshalb steht, in einer älter und kleiner werdenden Gesellschaft, ein radikaler Wandel in der Familienpolitik an. Sogar die CSU hat verstanden, dass es volkswirtschaftlich unsinnig ist, dass gut ausgebildete Frauen künftig zu Hause bleiben: Sie hat "Ganztagsschule" aus ihrem Verzeichnis schlimmer Worte gestrichen. Die SPD bräuchte eine Familienpolitik, die das ökonomisch Nötige mit dem verbindet, was man früher Emanzipation nannte. Familienpolitik ist kein konservatives Terrain mehr - und auch kein weiches Thema. Wenn die SPD das nicht begreift, wird sie schon bald wieder ein neues Programm brauchen. Eines, das man 2010 noch versteht.

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