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Joachim Gauck (2. v. l.) zu Besuch bei der Linken.

© AFP

SPD und Linke: Auch verpasste Chancen machen blind und bitter

Seit der Bundespräsidentenwahl dreschen die Sozialdemokraten auf die Linke ein und beerdigen vorerst die rot-rot-grüne Machtperspektive. Doch die SPD macht es sich damit viel zu einfach – eine Antwort auf Wolfgang Thierse.

Die Bundespräsidentenwahl und ihre Umstände wirken nach. Noch immer wird in den Regierungsparteien darüber diskutiert, wie es kommen konnte, dass im ersten Wahlgang 44 eigene Wahlleute gegen Christian Wulff stimmten und damit die Autorität der Bundeskanzlerin in Frage stellten. Aber auch die Opposition trägt an den Folgen der dramatischen Ereignisse vom 30. Juni.

Die SPD hat sich auf die Linkspartei eingeschossen. Die Sozialdemokraten werfen der ungeliebten Konkurrenz vor, eine historische Chance verpasst zu haben. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse spricht von „Hass“, der die Linke „blind und bitter“ gemacht habe, und sieht ein rot-grün-rotes Bündnis im Bund „in weite Ferne gerückt“.

Doch die SPD macht es sich viel zu einfach. Rot-grün-rote Bündnisse lagen auch vor dem 30. Juni noch in weiter Ferne. Zudem hätten vermutlich nicht 44 Wahlmänner und Wahlfrauen aus dem Regierungslager Merkel die Gefolgschaft verweigert, wenn Joachim Gauck von Anfang an als rot-rot-grüner Kandidat präsentiert worden wäre. Der Charme der Kandidatur des ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers lag schließlich genau darin, dass dieser für das bürgerliche Lager attraktiv war und gleichzeitig ein Stoppzeichen nach links setzte. SPD und Grüne wollten genau dieses Signal, deshalb sahen sie auch keine Veranlassung, im Vorfeld der Bundesversammlung das Gespräch mit den Linken zu suchen.

Gauck hatte nie realistische Aussichten

Joachim Gauck hatte darüber hinaus nie eine realistische Aussicht, tatsächlich zum Bundespräsidenten gewählt zu werden. Grüne und SPD wussten dies von Anfang an. Ein dritter Wahlgang für Wulff und eine Ohrfeige für Merkel waren das Maximum, was beide Parteien in der Bundesversammlung erreichen konnten. Wenn sie nun jedoch die 499 Stimmen für Gauck und die 126 für die linke Kandidatin Luc Jochimsen aus dem ersten Wahlgang addieren und daraus eine absolute Mehrheit konstruieren, dann begeben sie sich in den Bereich der Legendenbildung.

Natürlich war der 30. Juni für die Linkspartei kein Ruhmesblatt. Die Partei hat nicht einmal den Versuch unternommen, die Vor- und Nachteile einer Unterstützung des rot-grünen Kandidaten Joachim Gauck zu erwägen. Stattdessen wurden mögliche Abweichler von der Parteilinie in der Tradition linksradikaler Sekten unter Druck gesetzt. Es mag zudem sein, dass IM-Diether den ehemaligen Stasi-Bundesbeauftragten hasst, weil dieser dem Linken-Politiker einst den Spiegel der Vergangenheit vorgehalten hatte. Aus ähnlichen Gründen mag auch IM-Notar nicht gut auf Gauck zu sprechen sein.

Aber nicht jede Kritik an Joachim Gauck ist Tabu. Man kann in ihm sehr wohl einen Mann der Vergangenheit sehen. Es ließe sich auch die Frage stellen, ob es glücklich war, sich bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte auf die Stasi sowie vor allem ihre inoffiziellen Mitarbeiter zu fokussieren und andere Institutionen des Repressionsregimes in der DDR zu schonen. Auch Gaucks naive und unreflektierte Sicht auf den Sozialstaat, die Integration und den Afghanistan-Krieg reizt zum Widerspruch. Selbst sein Freiheitsbegriff ist nicht sakrosankt. Wäre die SPD ehrlich und nicht taktisch mit der Gauck-Kandidatur umgegangen, dann hätte sie alle diese Fragen mit ihrem Kandidaten diskutieren müssen.

Deshalb machen es sich die Sozialdemokraten mit ihren Schimpftiraden auf die Linke jetzt viel zu einfach. Die letzten zwei Jahrzehnte haben zudem gezeigt, wie schwierig eine Annährung ist, wie schwer es der SPD fällt, das Verhältnis zur PDS und später der Linken zu normalisieren und eine Zusammenarbeit nicht nur in den ostdeutschen Ländern, sondern auch im Bund zu ermöglichen. Die SPD hat dabei lange vor dem 30. Juni manche Chance versäumt.

Stattdessen war der Umgang der SPD mit der PDS beziehungsweise der Linken von Reinhard Höppner bis Rudolf Scharping, von Andrea Ypsilanti bis Kurt Beck immer von Taktik und Widersprüchen geprägt. So umgarnte einst zum Beispiel Kanzler Schröder die PDS-Politiker Gysi und Bisky bei Rotwein im Kanzleramt, weil er die rot-roten Stimmen im Bundesrat brauchte. Später nannte der Kanzlerkandidat Steinmeier die Linke bundespolitisch politikunfähig. In Hessen hatte sich gleichzeitig die SPD bei der Suche nach rot-rot-grünen Mehrheiten als politikunfähig entpuppt. Vor einem Jahr schielte die sozialdemokratische Bundespräsidentenkandidatin Gesine Schwan auf die Stimmen der Linken. Sie drückte sich deshalb sogar um den Begriff „Unrechtsstaat“ herum. Ein Jahr später wirft die SPD der Linken in der Bundesversammlung nun vor, sie sei Unfähig über ihren SED-Schatten zu springen.

Das Verhältnis zwischen SPD und Linken ist kompliziert

Das Verhältnis zwischen SPD und Linken ist aus vielerlei Gründen kompliziert, wegen der gemeinsamen Wurzeln in der Arbeiterbewegung, wegen der DDR-Vergangenheit, wegen Oskar Lafontaine und auch wegen der Agenda 2010. Verbitterung und Misstrauen lassen sich jedoch nicht an einem Tag mit einer symbolischen Handlung oder in einem einzigen Wahlakt aus dem Weg räumen. Erst Recht nicht mit einem eilig einberufenen Spitzentreffen zwischen dem zweiten und dem dritten Wahlgang.

Eine Annährung erfordert vielmehr einen langen vertrauensbildenden Prozess, der zugleich die politischen Befindlichkeiten beider Seiten anerkennt. Die Sozialdemokraten und Linke in Berlin und Brandenburg, die jeweils in Landesregierungen zusammenarbeiten wissen dies. Dort hat die SPD auch gezeigt, wie man die Linke dazu zwingen kann, sich ernsthaft mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Im Bund ist ein solcher Prozess nicht in Sicht, und so wundert sich die SPD, dass es dort mit einer Annährung nicht klappen will. Stattdessen versuchen die Sozialdemokraten nach der Bundespräsidentenwahl mit drastischen Worten von der eigenen Widersprüchlichkeit im Umgang mit der Linken abzulenken. Und so zeigt sich, auch verpasste Chancen machen blind und bitter. 

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