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Meinung: Speerspitze des Rechts?

Auch deutsche Rechtsgelehrte erliegen zuweilen der Versuchung Todesstrafe / Von Gerhard Mauz

RECHTSWEGE

In Nordamerika ist wieder einmal ein Streit um die Todesstrafe ausgebrochen. Es gibt Bundesstaaten, in denen sie verhängt werden kann, auch wenn der Täter zur Tatzeit gerade 14 Jahre alt war. Und es gibt Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe unzulässig ist und an ihre Stelle die lebenslange Freiheitsstrafe tritt. Die Staatsanwaltschaften sind deshalb bemüht, in Bundesstaaten anzuklagen, in denen die Todesstrafe zulässig ist.

Die Todesstrafe ist nicht nur die Krönung des Strafsystems. Sie ist, es muss daran immer wieder erinnert werden, sie ist die Speerspitze. Und so tritt, wer gegen die Todesstrafe angeht, gegen die im Lauf der Jahrhunderte entstandene, geltende Methode an, die Todesstrafe in der Rechtsordnung zu verteidigen und durchzusetzen.

Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre erneut, ist in der Bundesrepublik Deutschland ungeachtet des sonst so pathetisch beschworenen, nahezu heiligen Grundgesetzes ernsthaft geprüft worden, ob es nicht nötig sei, die Todesstrafe wieder einzuführen, wenn auch vielleicht nur für bestimmte Taten. Die Protokolle dieser Diskussionen sind niederschmetternd. Rechtsgelehrte, die man namhaft zu nennen hat, traten für die Todesstrafe ein. Sie sprachen unumwunden davon, dass unser System des Strafens ohne die Krönung, die Speerspitze der Todesstrafe gefährdet sei, sich ausbluten und sich auflösen werde.

Nicht die Unmenschlichkeit oder die Bosheit stehen hinter dem Beharren auf der Todesstrafe. Sie wird von denen verteidigt, die nur im Strafen etwas sehen können, was ihnen die Angst erträglich macht, die das Leben ihnen einflößt; die ihrer eigenen Not dadurch zu begegnen suchen.

Der Kampf gegen das Verbrechen, gegen die anflutende Gewalt ist es, der einen Fuß breit Boden schafft, auf dem die Rechtdenkenden noch einig sein können, ja einig sein müssen, wenn sie nicht vom Verbrechen, diesem anstürmenden Ozean, verschlungen werden wollen.

Der Verbrecher soll durch und durch ein Verbrecher sein. Dass er einer von uns ist, dass er sich nicht selbst durch seine Tat aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sondern als Mitglied unserer Gesellschaft gehandelt hat, in ihr und aus ihr heraus – es darf nicht sein, denn wie soll man auch das noch verkraften. Gegen das unmissverständliche Verbrechen muss die äußerste Bestrafung möglich sein.

Ach, die Todesstrafe lässt sich so leicht, so – billig verteidigen. Und dazu gehört eben auch der Verbrecher vom Scheitel bis zur Sohle

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

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