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Ein bisschen Ordnung kann selbst Berlin nicht schaden, oder?

© Thilo Rückeis

Stadt und Engagement: Berlin kehrt sich einen Dreck

Berlin ist die Stadt von Fun and Freedom statt von Law and Order. Das ist gut so. Doch dann sollten wir uns überlegen, wie wir selbstbestimmt und ohne Druck von oben ein bisschen Ordnung schaffen können. Immerhin gibt es erste Ansätze.

Von Markus Hesselmann

Neulich war wieder Angenehmes über unsere Stadt zu lesen. „Es gibt keine falsche Zeit, um Berlin zu besuchen“, stand im britischen „Telegraph“. Selbst im Winter sei die deutsche Hauptstadt schon wegen ihrer „stimulierenden“ Kulturszene eine Reise wert. Dass Berlin „derzeit zwei Flughäfen“ habe, stand da dann wahrheitsgemäß und ohne weitere Anspielungen. Und nichts von den Deutschland-Klischees, die doch von einer so ur-britischen Institution wie dem „Telegraph“ eigentlich zu erwarten wären. Gar nichts? Doch, ein bisschen was: „Berliner nehmen, wie alle Deutschen, ihre Regeln sehr ernst“, hieß es auf einmal fast warnend. „Müll auf die Straße zu werfen“ zum Beispiel führe „zu ernsten Blicken oder sogar öffentlicher Ermahnung.“
Ermahnung für Müll auf der Straße? In Berlin? Der „Telegraph“-Mann war wohl zuletzt im Telegrafen-Zeitalter hier. Berlin ist doch jetzt die Stadt von Fun und Freedom, da wird nicht ernst geguckt und schon gar nicht ermahnt. Betrüblich, dass die deutsche Hauptstadt als ehemalige Pickelhauben- und Schaftstiefel-Metropole auch im Jahr 2013 noch für Law-and-Order-Klischees herhalten muss. So wollen wir nicht mehr wahrgenommen werden, davon haben wir uns mühevoll emanzipiert. Das ist gut so. Aber vielleicht liegt in unserer fast schon neurotischen Abgrenzung von allem, was nach Ordnung riecht, auch ein Teil des Problems, das in Berlin an verdreckten Gehwegen und Grünanlagen erkennbar ist, aber darüber hinausweist.

Dem zugrunde liegt nämlich eine Haltung, die mit Freiheit wenig zu tun hat: Das Laisser-faire unserer Stadt schlägt oft um in Rücksichtslosigkeit, die sich mit der Erwartungshaltung, dass andere auch noch für die Beseitigung der Folgen dieser Rücksichtslosigkeit zuständig sind, ungut vermischt. Das ist nicht emanzipatorisch, sondern hochnäsig und faul.

Am Kurfürstendamm wird derweil das Gegenteil ausprobiert. Anrainer nehmen nicht andere, sondern sich selbst in die Pflicht. Sie wollen für mehr Sauberkeit mehr zahlen. Diese Idee ist immerhin ein Anfang. Was spricht dagegen, dass Hauseigentümer und Ladenbesitzer auch jenseits des Boulevards dasselbe tun? Oder dass Bürger gleich selbst mit anpacken, etwa mit Patenschaften für Plätze, wie es die Initiativen vormachen, die sich an der Tagesspiegel-Aktion „Saubere Sache“ beteiligt haben? Wenn sich Menschen demonstrativ für etwas verantwortlich fühlen, steigt die Chance, dass andere im Umfeld mehr Rücksicht nehmen. Das ist eine alltägliche Beobachtung. Und weniger Dreck führt zu noch weniger Dreck. Auch das lehrt der Alltag.

Rund 85 Millionen Euro steuert das Land jährlich zum Straßenreinigungsbudget der BSR bei, das insgesamt mehr als 200 Millionen Euro beträgt. Grünanlagen nicht inbegriffen, dafür müssen die Bezirke aufkommen. Schon von dem Geld wären viele Millionen besser in Ausstattungen von Kitas, Spielplätzen oder Kiezbibliotheken angelegt. Doch es reicht ohnehin nicht. „Nach zwei, drei Stunden glaubt keiner mehr, dass wir da waren“, heißt es bei der BSR über bisherige Reinigungsbemühungen am Ku’damm. Auch anderswo stoße man an Grenzen.

Von „Mehrkosten für das Land“ ist deshalb die Rede. Die Landesregierung aber sollte sich endlich ehrlich und den Bürgern klar machen, was im hoch verschuldeten Berlin angesagt wäre: Nicht mehr Kosten, sondern mehr Engagement.

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