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Stadtplanung: Berlin plant nicht mehr

Politik zwischen Wiesenmeer und Luftschloss: Der Senat überlässt die Stadtentwicklung den Großinvestoren.

Berlin plant – so stand einst voll Stolz auf den Broschüren des Bausenats zu lesen. Das war einmal. Die Berliner merken nichts davon, aber für Fachleute ist der Tatbestand nicht mehr zu übersehen: Diese Stadt hat aufgehört, sich zu entwerfen. Das gilt auf allen Ebenen, Politik wie Verwaltung, Hauptverwaltung wie Bezirke, Koalitions- wie Oppositionsparteien. Keine Idee, nirgends. Das politische Berlin will sich gleichsam nicht mehr anstrengen.

Na und? – mag der Neuberliner sagen. Doch eine Stadt ohne Planung ist wie ein Auto ohne Wartung und Tüv, schlimmer noch. Planung heißt ja nicht nur, über den heutigen Tag hinaus zu denken, sondern sie ist immer auch der Ausdruck davon, ob eine Stadt etwas will, wohin sie will und was sie sein will. Und schließlich ist Planung dazu da, im Gegeneinander der unterschiedlichen Interessen ein Gemeininteresse zu wahren, also dafür zu sorgen, dass den privaten Wünschen und Vorhaben öffentliche Setzungen vorausgehen.

Alles das ist derzeit in Berlin nicht der Fall. Die mit der Vereinigung ansetzende Anstrengung der Stadtentwicklung, die Stadt in sich selbst, in ihrem Umland und im deutschen Städtesystem neu zu justieren, hat offenbar alle Energien aufgezehrt. Aber es gibt doch, zum Beispiel, die Planung für Tempelhof? Wenn denn von Planung zu reden wäre. Doch was da gerade hochgehalten wird, ist nur ein aus der Schublade gezogenes Luftschloss. Die Idee vom großen Wiesenmeer entstand schon 1994 unter dem Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, und die jetzt wieder hervorgeholte Neufassung als Ei wurde unter Senator Peter Strieder vor nunmehr acht Jahren erarbeitet. Man hat diese Zeichnungen auch nur hervorgezogen, weil es galt, den Befürwortern der Offenhaltung etwas entgegenzusetzen, Um mehr als eine Architektenfantasie handelt es sich sowieso nicht, ebenso wenig um etwas, das in den nächsten zehn Jahren spruchreif sein könnte.

Und sonst? Das Planwerk Innenstadt wird demnächst selbst in seiner abschließenden Formulierung, als Beschluss von Senat und Abgeordnetenhaus, zehn Jahre alt. Die Realisierung ist mehr als lustlos, großenteils unterbleibt sie ganz. Der Stadtumbau West ist auf eine Ebene kleinster Verschönerungen heruntergedampft worden, dass das mit dem Ansatz des Bundesprogramms nichts mehr zu tun hat. Die Verkehrspolitik ist da, wo sie noch aktiv ist (Bau des Großflughafens, Verlängerung der U 5 oder die Frage des Weiterbaus der Stadtautobahn A 100), noch viel älter. Neue Ziele sind nicht in Sicht. Alle tun so, als müssten sie sich nach einer großen Anstrengung jetzt dringend erholen.

Die Aufgabe der Neujustierung Berlins ist aber nicht der Art, dass man sie so schnell abschließen oder eine Weile aussetzen kann. Berlin steht im Spannungsfeld der deutschen wie der europäischen Städtekonkurrenz nach wie vor auf einer Randposition, und die anderen gehen weiter, ohne auf Berlin zu warten. Nichts in der globalen Welt steht still, vielmehr stehen heute noch viel einschneidendere Veränderungen ins Haus als zu Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Der demografische Schrumpfungsprozess, das zunehmende Altern der Gesellschaft, die an Tempo gewinnende Energiekrise, die europäischen Klimaziele und ihre Rückwirkungen auf den motorisierten Individualverkehr, aber auch das Obsoletwerden der Staatsaufgabe Wohnungsbau, die mangelhafte Berliner Verwaltungsstruktur, die bislang gescheiterte Integration der Migranten, das Normalwerden von Schul- und Straßenkriminalität, alles das sind Herausforderungen, die ein erhebliches Umdenken verlangen – hat man davon in der offiziellen Politik Berlins bisher viel wahrgenommen?

Natürlich hat es einige Reaktionen gegeben. Aber die Einrichtung einer innerstädtischen Umweltzone wurde nötig, um EU-Vorgaben zu entsprechen, und die Bezirke sind voll mit der Etablierung neuer Parkzonen ausgelastet, die ja auch nicht das Verkehrsverhalten ändern, sondern Geld in die Kassen bringen sollen. Stadtentwicklung und öffentliche Diskussion beschäftigen sich dagegen mit Luftschlössern auf dem Tempelhofer Feld, und das Bürgerinteresse beschränkt sich auf Baumfällungen oder die Person des Zoodirektors. Alles um uns herum ist in Bewegung, aber Berlin glaubt, sich eine Ruhepause gönnen zu müssen. Irgendwie lebt die Berliner Politik wohl in einer anderen Stadt.

In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heißt es sogar ausdrücklich: Bloß keine großen Projekte mehr! Über die Frage nachzudenken, wie man mit Schrumpfung, Investitions- und Bewohnerverschiebungen umgeht – mit dem Problem etwa, dass immer weniger Menschen gleichbleibende Infrastrukturleistungen bezahlen sollen –, das überlässt man der BVG. Das mag, nach den Übertreibungen der 90er Jahre, eine verständliche Reaktion sein. Keine autoritären Entscheidungen mehr, keine weiterreichenden Entwürfe und deren diskursiven Verwerfungen, wie sie die Ära Strieder/Stimmann kennzeichneten. Das findet sogar die Presse gut.

Dahinter steckt aber ein Rückzug von Politik und Verwaltung aus der Aufgabe, die Stadtentwicklung aktiv zu lenken. Man reagiert auf das, was an privaten Anforderungen oder Einwänden der Verbände kommt, man moderiert. Es scheint ja auch so ganz gut zu gehen: Die Privaten kommen und bauen. Aber wie lange noch? Dabei ist gegen Dialog und Moderation an sich nichts zu sagen. Sie wären durchaus die geeigneten Mittel, wenn es darum ginge, mutige Schritte nach vorne zu tun und sie der Stadt, den Bewohnern und Nutzern, zu erklären. Bloßes Ruhigstellen, bloße Konfliktvermeidung dagegen ist so politisch bequem wie trügerisch, und der Fall Spreedreieck zeigt, dass man nicht einmal so den Unfällen vom Typ Tempodrom entkommt, die man mit der neuen Direktive um jeden Preis vermeiden wollte. Die neue Planungsunlust schafft ja wieder ihre eigenen Probleme, nur dass auch diese erst wieder später zur Geltung kommen werden.

Zum Beispiel Heidestraße: Hinter dem Straßennamen verbirgt sich eine der zentralen Zukunftslagen der Stadt von höchster strategischer Bedeutung. In dem eben abgeschlossenen Wettbewerb begnügte sich die Stadt dagegen mit einer Gastrolle. Auslober war die Vivico, das rein privatwirtschaftlich agierende Verwertungsunternehmen der Bahn, das aufgegebene Bahnflächen vermarktet, das aber, als ehemalige Behörde, von Terrainentwicklung keine Ahnung hat und nur irgendwie Geld machen will. Nicht nur das Formale ist alarmierend, dass die Stadt an so zentraler Stelle darauf verzichtet, selber die Verantwortung zu übernehmen, in der trügerischen Hoffnung, es werde schon zum Nutzen des Ganzen sein. Nicht minder bedenklich ist die inhaltliche Seite, macht man sich erst einmal klar, wie Erhebliches hier auf dem Spiel steht.

Das Problem kann schon ein kurzer Blick auf den Stadtplan zeigen. Das Güterbahnhofsgelände der Lehrter Bahn bildet seit einem Jahrhundert einen Keil zwischen Moabit, Wedding und Mitte. Es wäre jetzt also fällig gewesen, die bisher durch die Bahnanlagen verhinderte Vernetzung der anliegenden Stadtteile ins Werk zu setzen. Nicht zufällig haben wir nach drei Seiten strukturschwache Gebiete, im Westen die Lehrter Straße, im Norden den Sprengelkiez, im Osten, durch den Spandauer Schifffahrtskanal getrennt, das Gebiet Chausseestraße, weiter östlich, wiederum durch die ehemaligen Gleisflächen des Stettiner Bahnhofs abgeschottet, das Chausseestraßenviertel. Vor allen privatwirtschaftlichen Überlegungen zur Bebauung wäre also die öffentliche Planung einer quer zur Geländerichtung liegenden Ost-West- Verbindung nötig gewesen.

Stattdessen hat sich die Ausschreibung der Vivico damit begnügt, dieses strategisch zentrale Gelände unmittelbar zu Füßen des Hauptbahnhofs als Insel zu beplanen. Nicht einmal eine Verknüpfung mit der Sackgassensituation der Scharnhorststraße jenseits des Schifffahrtskanals war drin. Man hat das Gelände als isoliertes Filet genommen und kurzerhand den Architekten zur städtebaulichen Dekoration übergeben. Herausgekommen ist eine bunte Platte, ein Happen Büro, zwei Happen Wohnen am Wasser, ein Happen Mischnutzung und ein Happen Kunstbusiness. Nicht der Schatten einer Idee, nur die übliche Bilderbuch- und Instantplanung, aus einer Hand, in drei Jahren schlüsselfertig zu übergeben, unter Aussparung von Zeit und Individualität.

Unter Ausschluss also gerade jener beiden Faktoren, welche einst die Stärke der Städte ausmachten. Planung hieße, genug Luft für zukünftige Entwicklung zu lassen, für weit unterschiedlichere Akteure und Beteiligungen, statt mit der Weisheit von heute gleich alles für die nächsten 100 Jahre festzulegen. Planung bedeutet überhaupt eine kontinuierliche Sorge für die Struktur der Stadt: historische Hindernisse und Barrieren zu beseitigen, Verknüpfungen verhungernder Gebiete zu ermöglichen.

Zweites Beispiel: das Problem Ostkreuz. Wenn man einmal nicht nur auf das Bahnkreuz selber starrt, dann sieht man schnell, dass das ganze Gebiet zwischen Ostbahnhof (Friedrichshain) und Viktoriastadt (Lichtenberg) eine Entwicklungsaufgabe darstellt. Das ist ebenfalls eine Erblast des 19. Jahrhunderts. Die Bahngesellschaften haben auch hier einfach ihre Trassen gelegt, und die öffentliche Hand fand es nicht nötig, den proletarischen Osten entsprechend zu urbanisieren, so dass es zu einer Fülle von Notlösungen kam, an denen bis heute das gesamte Gebiet krankt – es fehlt hier grundsätzlich an einer zureichenden Durchlässigkeit zwischen den Bezirken Friedrichshain und Lichtenberg.

Statt dass dieses Problem jetzt angegangen wird, haben wir aber drei Großbaustellen, die voneinander nicht wissen: die O2-Halle, das DB-Projekt Bahnhof Ostkreuz und den geplanten Weiterbau der A 100 zwischen Britzer Hafen und Treptower Park. Die O2-Halle wurde für sich erschlossen, ohne dass die fällige Verbindung im Bahngraben hinüber zu Narva- City und Rummelsburg kam. Dazu wäre natürlich eine Unterquerung des Ostkreuzes nötig gewesen, dieses wird aber lediglich als Bahnbauwerk erneuert. Und jenseits des Ostkreuzes wird, statt die Verbindung zur Hauptstraße nach Oberschöneweide und Köpenick herzustellen, quer dazu eine weitere Barriere geplant, die A 100, die hier aber gar nicht gebraucht wird. Was gebraucht wird, ist die nicht geplante, vielmehr dreifach an dieser Stelle verhinderte Öffnung der Innenstadt nach Südosten.

Das sind zwei Beispiele unterlassener Planungssorge für das großräumige Funktionieren der Stadt. Da ist noch gar nicht von einem Konzept die Rede, wie die Gesamtstadt umzurüsten wäre, um den absehbaren Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein – jenen Problemen, die oben kurz benannt wurden und die sich sämtlichen europäischen Großstädten derzeit stellen: wie zum Beispiel bei steigenden Infrastrukturkosten ein zureichender Stadtverkehr zu organisieren ist, wie die Rollenverteilung zwischen öffentlichem und privatem Verkehr aussehen soll und wie darauf die unterschiedlichen Netze entwickelt werden sollten.

Die Bezirke, bei denen heute in weiten Teilen die Planungshoheit für neue Projekte liegt, sind mit solchen Fragen hoffnungslos überfordert. Sie sind wohl auch nicht dazu da, sie zu lösen. Wozu haben wir eigentlich eine riesige Hauptverwaltung? Wozu, wenn sie sich diesen Problemen nicht stellt, sondern einfach abwartet, dass der nächste Großinvestor kommt und seine Vorschläge unterbreitet? Und wenn der Senat so tut, als könnte man die Stadtentwicklung dem Kunstmarkt überlassen – wozu leisten wir uns dann diesen Überbau von Senat und Abgeordnetenhaus? Wofür interessieren sich unsere Politiker überhaupt noch? Als Trampolin für die Bundespolitik ist die Stadt doch zu schade.

Dieter Hoffmann-Axthelm

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