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Peer Steinbrück hat sein Wahlkampfthema gefunden: Steuergerechtigkeit - aus aktuellem Anlass.

© dpa

Der Kanzlerkandidat: Steinbrücks Klartext als Attitüde

Peer Steinbrück war einmal beliebt, bis er seine Neuerfindung versuchte. Wie der Kanzlerkandidat in den Abwärtsstrudel geriet – und ihn nun nicht mehr stoppen kann.

Peer Steinbrück war einmal beliebt. Daran muss in dieser Zeit, die schnell lebt und noch schneller vergisst, erinnert werden. In der großen Koalition galt er als Stabilitätsanker, finanzpolitisch versiert, stilistisch ein Raubein. Markant hob er sich von der Kanzlerin ab. Wo sie sich wand, erklärte er so munter drauf los, dass es ein Vergnügen war. Dazu dieser spröde hanseatische Witz, bei dem man sich amüsiert, ohne zu lachen. Einfach gut, der Peer.

Dieses Image wahrte Steinbrück, als das SPD-Kanzlerkandidatenkarussell rotierte. Er baute es sogar aus. Ein solider, rechter Genosse, wirtschaftsfreundlich, voll des Agenda-Lobes, Helmut-Schmidt-Erbe. Genau das schien anzukommen im Volk. Steinbrücks Popularitätswerte lagen konstant hoch. Vor allem deshalb wurde er schließlich von seiner Partei nominiert. Die Antwort auf die Frage, wer im Herbst 2013 die besten Chancen gegen Angela Merkel hat, schlug alle anderen Kriterien aus dem Rennen. Auf ähnliche Weise hatte sich Gerhard Schröder einst durchgesetzt, erst in der Partei, dann im Land. Warum sollte das nicht wieder klappen?

Ganz einfach: Weil die SPD noch widersprüchlicher, zerrissener und identitätsverlorener geworden ist, als sie damals schon war. Der eine Fuß der Grätsche stützt sich auf Gerechtigkeits- und Klassenkampfrhetorik, der andere auf Dritte-Weg- und Modernisierungseinsichten. Das tut ziemlich weh im Schritt. Und weil Steinbrück das weiß, bewegt er sich seit seiner Nominierung rasant nach links. Höhere Spitzensteuern, kräftigere Finanzmarktregulierungen, soziale Themen: Das soll’s bringen. Sozialstaat und Marktwirtschaft befänden sich in einer Legitimationskrise, diagnostiziert er. Und in sein Kompetenzteam beruft er mit Klaus Wiesehügel einen dezidierten Agenda-Gegner.

Kann eine solche Neuerfindung der eigenen Person funktionieren? Wahrscheinlich nicht. Wer öfter mal schwankt, darf sein Mäntelchen durchaus nach dem Wind hängen, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren - siehe Angela Merkel. Wer aber mit seinem politischen Charakter und seiner Standfestigkeit gepunktet hat, ja, das Klartext-Reden zu seinem Markenzeichen erkor, dem nimmt man solche Manöver nicht als ehrlich gemeint ab. Das wirkt, als würde Anke Engelke eine ernste Rolle im „Hamlet“ übernehmen.

Vor fast 20 Jahren, als die „Titanic“ noch lustig und nicht bloß linkshahahumoristisch war, brachte das Magazin auf seinem Titel Helmut Kohl im Dalai-Lama-Kostüm und dazu die Zeile: „Buddhismus bizarr: Kohl droht mit Wiedergeburt“. Dasselbe vom Gleichen auf ewig: So kam es einem vor. Heute lässt sich die Lage in Bezug auf den SPD-Kanzlerkandidaten eher so schildern: Derselbe immer anders, womöglich schon morgen. Auch nicht besser.

 Peer Steinbrück will links und rechts in der SPD krampfhaft miteinander versöhnen - und wird dadurch glatter, aalglatter. Ausgleichen und Klartextreden – das beißt sich. Kein Zufall, dass „Hätte, hätte, Fahrradkette“ auf Youtube bislang zu seinem einzigen Wahlkampfhit wurde. Ein Entrinnen aus der Falle der nutzlosen Neuerfindung gibt es nicht. Denn jedes Weiterdrehen an der Neuerfindungsschraube verstärkt das Gefühl des Wankelmuts.

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