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Meinung: Sterben und sterben lassen

Bei Komapatienten muss die Patientenverfügung neu geregelt werden

Alexander S. Kekulé Seit Montag sind konservative Politiker, Ärztefunktionäre und Kirchenvertreter in heller Aufregung. Grund ist ein neues Exportprodukt aus der Schweiz: Nach Alpenmilchschokolade, Armbanduhren und Almkäse gibt es in Deutschland nun auch Sterbehilfe nach Schweizer Art: Der umstrittene Züricher Sterbehilfeverein Dignitas hat in Hannover sein erstes Auslandsbüro eröffnet. Kritiker befürchten, dass die Sensenmänner aus der Alpenrepublik demnächst auch bei uns Sterbewillige mit Todescocktails versorgen und in eigens angemieteten Wohnungen beim Selbstmord begleiten. Der professionelle Service kostet einschließlich Bestattungsformalitäten rund 2500 Euro. Nach Angaben von Dignitas gingen bisher 453 schwerstkranke Menschen mit Schweizer Gründlichkeit in den Freitod. Der größte Teil der Kundschaft waren Todestouristen aus dem weniger freizügigen Ausland: Von den 102 Klienten des vergangenen Jahres kamen 90 aus Deutschland.

In der Bundesrepublik wären die Marktchancen für die Suizidhelfer nicht schlecht. Wie in der Schweiz steht auch in Deutschland die Beihilfe zum Selbstmord nicht unter Strafe. Einer aktuellen Umfrage zufolge ist sogar knapp die Hälfte der Deutschen explizit dafür, die Selbsttötung unter Mithilfe des Arztes zu ermöglichen. Trotzdem fordern Kirchen, Unionsparteien und Bundesärztekammer ein Verbot der eidgenössischen Todeshelfer.

Erstaunlicherweise war es immer wieder die Judikative, die gegen allen Widerstand das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten stärkte. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte in mehreren Grundsatzurteilen fest, dass Ärzte keine lebensverlängernden Maßnahmen (etwa künstliche Ernährung) gegen den Willen des Patienten durchführen dürfen, auch wenn dies zum Tode führt. Neben dieser „passiven Sterbehilfe“ erlaubt der BGH sogar die „indirekte Sterbehilfe“, bei der ein Arzt seinem todkranken Patienten eine hohe Dosis starker Schmerzmittel gibt und dabei – sozusagen unbeabsichtigt – in Kauf nimmt, dass dieser dadurch sterben könnte. Die Rechtsprechung stellt hier zu Recht die Vermeidung unerträglicher Qualen über eine geringfügige Verlängerung des Lebens. Wenn die Ärzte diesen rechtlichen Rahmen ausschöpfen, sind Organisationen wie Dignitas überflüssig.

Gleiches gilt für die „aktive Sterbehilfe“ durch den Arzt nach holländischem Vorbild, die bei uns verboten bleiben sollte. Die Grauzone zwischen erlaubter „indirekter Sterbehilfe“ und verbotener „aktiver Sterbehilfe“ (Tötung auf Verlangen) verdanken Patienten und Ärzte einer zufälligen Doppelwirkung von Opiaten: Diese starken Schmerzmittel, wie etwa Morphium, hemmen auch die Atmung, was den Tod beschleunigen kann. Die schweren Gewissensentscheidungen in dieser Grauzone können nicht durch allgemeine Gesetze ersetzt werden – der Tod ist keine Angelegenheit des Staates, sondern eine höchst persönliche Sache.

Dringend regelungsbedürftig ist jedoch die Situation bewusstloser Patienten: Hier gilt der mutmaßliche Wille des Patienten. Deshalb werben Ärztevertreter, Patientenorganisationen und Politik für die Abfassung von Patientenverfügungen, die den Fall der Fälle regeln sollen. Sie verschweigen jedoch das entscheidende Problem: Wenn der Patient nicht unmittelbar im Sterben liegt, sondern etwa im Dauerkoma, darf nach Ansicht der Bundesärztekammer und der Ethikkommission des Bundestages der in einer Patientenverfügung niedergeschriebene Todeswunsch nicht erfüllt werden. In diesem Fall müssen die Ärzte den Patienten am Leben erhalten, solange er nicht – etwa durch Bewegen eines Augenlids – seinen Willen erneut eindeutig bekunden kann.

Gerade die spektakulären Fälle von Patienten, die gegen den Willen ihrer Verwandten im Wachkoma jahrelang künstlich ernährt und beatmet wurden, sind aber für viele Bundesbürger das Schreckensszenario schlechthin. Die Wirksamkeit von Patientenverfügungen auch bei Bewusstlosen muss deshalb dringend gesetzlich geregelt werden. Sonst dürfte der Ruf nach aktiver Sterbehilfe immer lauter werden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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