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Meinung: Stimme aus dem Grab

Von Werner van Bebber

Das war eine unkorrekte Entscheidung. Nicht Willem van Oranje ist der größte Niederländer, auch nicht Rembrandt oder Vermeer oder Johan Cruyff, sondern Pim Fortuyn. Ein paar hunderttausend Teilnehmer an der Umfrage eines niederländischen Fernsehsenders haben ihn gewählt. Nun steigt der Populist, der im Mai 2002 wegen seines radikalen politischen Auftretens ermordet worden ist, symbolisch aus dem Grab. Diese Auferstehung irritiert die Niederländer, und nicht allein sie. Sogar der Mann, der in der Fernsehshow für Fortuyn geworben hat, soll angeblich gesagt haben: Mit dem Land stimmt etwas nicht.

Man könnte kühl von außen sagen: Natürlich stimmt etwas nicht mit einem Land, das gerade vom zweiten politischen Mord in anderthalb Jahren erschüttert worden ist. Erst Fortuyn – erschossen von einem Tierschützer, der dessen Schärfe gegenüber muslimischen Migranten für unerträglich hielt. Jetzt der Künstler Theo van Gogh – hingerichtet von einem islamistischen Einwanderer aus Marokko. Das sieht aus, als hätte Fortuyn mit seiner Kritik an der nach allen Seiten toleranten Einwanderergesellschaft postum Recht bekommen. So empfinden es jedenfalls hunderttausende Niederländer. Sie haben mit der Wahl Fortuyns ein Gefühl ausgedrückt – das von nicht sehr viel Vernunft kontrolliert worden ist: Dass Fortuyn Wichtiges gesagt und getan hat für die Niederlande – und dass er fehlt.

Fortuyn fehlt den Niederländern, weil er in verletzender Schärfe Probleme benannt hat, die die Politik heruntermoderierte. Es sind die immer größer gewordenen Probleme der multikulturellen Gesellschaft. Fortuyn hat mit der These provoziert, dass Multikulti als unverbindliches Nebeneinander nicht mehr funktioniert. Theo van Gogh hat Fortuyns Kritik noch einmal radikalisiert – mit dem hohen Maß an künstlerischer Freiheit und Frechheit, dass nur westliche Gesellschaften ermöglichen. In den Niederlanden zerfällt gerade ein Konsens, der lange auf uns Deutsche wie der Ausdruck perfekter Liberalität wirkte. Jetzt haben viele den Eindruck, dass die Liberalität zu einseitig gewesen ist. Das trifft nicht allein auf die Niederlande zu, auch wenn man hier zu Lande zum größten Deutschen Konrad Adenauer gewählt hat – in sehr ausgeruhter Laune.

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