zum Hauptinhalt

Meinung: Stolz und Selbstbehauptung

Die jungen Menschen in Iran wollen nicht nach den Regeln der Mullahs leben / Von Hans-Ulrich Klose

Iran wird im Westen sehr unterschiedlich beurteilt. Der amerikanische Präsident ordnet das Land (neben dem Irak und Nordkorea) der „Achse des Bösen“ zu; dem Land müsse notfalls mit militärischen Mitteln Einhalt geboten werden. Die EUEuropäer bemühen sich, Iran im Dialog zu öffnen und einzubinden, was wiederum in Washington mit Skepsis beobachtet wird.

Ins Zentrum der transatlantischen Debatte rückt zunehmend die Nuklearfrage: Das offenkundige Bemühen Teherans, den vollen Nuklearzyklus zu entwickeln und einzusetzen. Die Regierung in Teheran sagt, alles geschehe ausschließlich zu „zivilen“ Zwecken der Energieversorgung. Unbestreitbar ist jedoch: Ein Land, das in der Lage ist, Uran anzureichern und schweres Wasser zu produzieren, ist atomwaffenfähig und will es wohl auch sein. Gespräche mit Politikern aus Iran lassen daran wenig Zweifel.

Die Zweifel werden dadurch bestärkt, dass auch in Iran über den Atomkurs gestritten wird. Warum braucht ein Land, das über ausreichend natürliche Energieressourcen verfügt, Kernkraftwerke? Es braucht sie nicht, es sei denn, dass es in Wahrheit gar nicht um Energie, sondern um Waffen (Massenvernichtungswaffen!) geht. Warum, fragte kürzlich ein Parlamentarier aus Teheran, werde Iran verweigert, was Pakistan, Indien oder Israel, wenn auch widerwillig, gestattet werde?

Die Antwort ist klar: Sollte Iran nuklear aufrüsten, käme das ganze Nichtverbreitungsregime ins Rutschen. Andere Staaten (Saudi-Arabien, die Türkei?) könnten geneigt sein, dem iranischen Beispiel zu folgen. Die Sicherheitslage im Nahen Osten würde sich dramatisch verändern. Was tun? Amerika erwägt, so vermutet man in Europa, eine militärische Reaktion. Keinen Krieg mit nachfolgender Besatzung, eher einen „chirurgischen“ Schlag, der das iranische Nuklearprogramm in ähnlicher Weise unterbrechen könnte wie seinerzeit der israelische Militärschlag gegen irakische Atomanlagen. Der wurde damals weltweit kritisiert, ist im Nachhinein aber durch die Ereignisse legitimiert. Kein Zweifel, die Amerikaner wären zu einer solchen Operation militärtechnisch fähig. Das Problem ist: Allein schon die Androhung eines militärischen Vorgehens führt die religiösen Hardliner und die Reformer in Iran wieder enger zusammen. Was den von Washington angestrebten „regime change“ eher behindert als befördert. In einer schnellen Demokratisierung sehen jedoch selbst altkonservative Hardliner in Amerika wie Richard Perle die Lösung der Nuklearfrage.

Wir Europäer sollten auf eine politische Lösung hinarbeiten. Die Lage in Iran entwickelt sich tatsächlich in Richtung Demokratie. In keinem anderen Land der Region sind die Chancen auf einen Regimewandel von innen größer. Dazu trägt vieles bei, vor allem der demografische Prozess: Die iranische Bevölkerung ist sehr jung, mehr als 50 Prozent sind jünger als 21 Jahre. Diese jungen Menschen, die Mehrzahl von ihnen mit guter Schul-, Berufs- oder Universitätsausbildung, wollen nicht nach den starren Regeln der Mullahs leben. Sie wollen, wie junge Menschen anderswo, nicht unbedingt auf amerikanische, aber auf ihre Weise lebenswert leben und selbst über ihr Leben entscheiden.

Das gilt ganz besonders für die jungen Frauen, die einen natürlichen Stolz und eine hohe Bereitschaft zur Selbstbehauptung ausstrahlen. Die Jugend in Iran ist bereit zur Reform. Sie lässt sich trotz der andauernden Repressalien nicht mehr einschüchtern. Sie für die Demokratie zu gewinnen und ihr in ihrem Kampf für demokratische Reformen beizustehen, ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Irans, sondern eine selbstverständliche Reaktion entwickelter Demokratien, die ihrerseits lange für Demokratie und Reformen gekämpft haben.

Entscheidend ist: Respekt. Wir im Westen können Iran nur helfen, wenn wir seine Menschen, das Land und seine Kultur respektieren. Nur dann haben wir eine Chance, gehört zu werden und Einfluss auszuüben. Damit einhergehen muss die Bereitschaft, die ökonomische Entwicklung zu unterstützen. Iran braucht für seine gut ausgebildeten jungen Menschen jährlich rund 800 000 neue Arbeitsplätze; ohne Investitionen aus Europa, auch aus Amerika, kann es sie nicht bereitstellen. Nur mit solcher Hilfe lassen sich soziale Konflikte abmildern oder vermeiden. Ökonomische Kooperation könnte auch konservative iranische Politiker überzeugen, die andernfalls um den Bestand des Regimes fürchten müssten.

Schließlich: die Sicherheitslage. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Irans Nachbarschaft problematisch ist: Pakistan (nuklear), Afghanistan, die Türkei, der Irak. Wen wundert es, dass Iran über Atomwaffen nachdenkt, wenn es ringsum von Ländern umgeben ist, mit denen es in der Vergangenheit kaum gute Erfahrungen gemacht hat. Eine amerikanisch-europäische Sicherheitserklärung für Iran könnte dazu führen, dass die Politiker in Teheran ihr Atomprogramm überdenken. Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, dass dies geschieht. Aber einen Versuch ist es wert. Wenn es stimmen sollte, dass Washington eine solche Sicherheitserklärung gegenüber Nordkorea erwogen hat, warum dann nicht auch gegenüber Iran?

Es gilt die Beziehungen zu Iran und die Irans vor allem zu Amerika zu „entdämonisieren“, damit die Vernunft und der Dialog auf der Basis interessengeleiteter Politik eine Chance erhalten.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Foto: dpa

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false