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Streit um Aygül Özkan: Willkommen im Haifischbecken

Aygül Özkan ist Deutschlands erste türkischstämmige Ministerin – und eckt mit ihrem Vorstoß in Sachen Kruzifixverbot an deutschen Schulen prompt an.

Man kann wohl ausschließen, dass Aygül Özkan, die ab diesem Dienstag Deutschlands erste türkischstämmige Ministerin sein soll, einen Masterplan zur Modernisierung der CDU ins Werk setzen wollte oder sollte. Es war vermutlich nichts anderes als eine gehörige Panne, dass die Neue sich so ungeschminkt für ehrliche EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aussprach und gegen Kreuze in Schulzimmern. „Abwegig“ tönte es prompt aus Bayern – warum eigentlich?

Das Bundesverfassungsgericht hat 1995 zum Kreuz nichts anderes gesagt. Und es löste – insofern lässt sich der Protest nicht einfach als Türkenbashing abtun – damit noch heftigere Reaktionen aus. Edmund Stoiber persönlich führte Demonstrationen pro cruce durch München an, das Urteil wird bis heute praktisch ignoriert. So viel zur Verfassungstreue angesehener Teile der Mehrheitsgesellschaft.

Das Gewitter, das über Özkan niedergeht, beweist, wie nötig ihre Berufung war. Und wie nötig es sein wird, dass ihr viele Migranten folgen – in Parteien, Parlamente, Regierungen, Schaltstellen von Wirtschaft und Kultur. Und auch in die Handwerkskammern, Lehrerzimmer und Zeitungsredaktionen der Republik, Chefzimmer inklusive. Es gibt Fragen, die alle angehen, die Migranten aber mit größerer Selbstverständlichkeit stellen können – und auf die ihre schiere Präsenz schon die halbe Antwort ist. Warum ist die Türkei kein „europäisches Land“, wie es jetzt aus Bayern tönt? Und was haben christliche Kreuze in Staatsschulen zu suchen? Erst recht, wenn demnächst Deutschlands Schulkinder mindestens zur Hälfte Migranten sein werden? Andere Fragen wären: Warum sehen Deutschlands Dax-Vorstände aus, wie sie aussehen, wer leitet unsere Theater, was kostet uns das ignorante Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft?

Der Weg ist weit. Die CDU versucht eine Revolution von oben, die unten im Milieu stecken bleibt - der Sturm um Özkan zeigt’s. Die SPD lässt ein paar Migranten in die Parlamente – und zieht gläserne Decken unter den Führungsposten ein. NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU), der es mit dem Schlachtruf „Migranten, Aufstieg gibt’s nur bei uns!“ auf einen Sonntagstitel schaffte, kann sich die Häme sparen. Nur die Grünen sind bisher in der pluralen Gesellschaft angekommen. Ihr Chef heißt Cem Özdemir und auch weiter unten sind Migranten dort keine Quotenexoten.

Lehrreich sind die Reaktionen auch sonst: Wenn die Türkei „nie europäisch“ wird, darf man dann mithören: Und Türken werden nie richtige Europäer, mag man sie noch so oft einbürgern? Auf dem Titel einer Zeitung wurde am Montag eine fröhliche Özkan präsentiert – ihr offenes Lachen im Bildtext zum „unsicheren“ umetikettiert. Unsicher, stumm, in der Opferrolle: Ja, so mögen wir sie gern, unsere Türkinnen. Dafür bekommen sie sogar Filmpreise, wie die zweifache Lola-Preisträgerin Sibel Kekilli. In ihrer ersten preisgekrönten Rolle wurde sie vergewaltigt, in der zweiten gleich umgebracht – Ehrenmord, was sonst.

Offen, lachend, selbstbewusst – na, dann willkommen im Haifischbecken, Frau Özkan! Es ist gut für uns alle, dass sie gesprungen sind.

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