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Saal des Anstoßes: Weil zu wenig Medienvertreter Platz finden, gibt es vor dem NSU-Prozess Druck auf das Münchner Gericht.

© dpa

Streit um Medienplätze: NSU-Prozess taugt nicht für Experimente

Warum sträubt sich das Gericht in München gegen eine Übertragung des NSU-Prozesses in einen größeren Raum mit mehr Medienvertretern? Unser Justiz-Experte Jost Müller-Neuhof hat dafür Verständnis - und fordert ein klares Gesetz.

So lange sich die Öffentlichkeit öffentlich darüber beschweren kann, dass es nicht genug Öffentlichkeit gibt, kann es so schlecht nicht um sie stehen. Dies muss vorweggeschickt werden, bevor man sich über das Problem von Kamera-Übertragungen aus Gerichtssälen beugt. Viele, auch viele Juristen, fordern zurzeit, es möge doch bitte einen zweiten Saal am Münchner Oberlandesgericht geben, in den Bild und/oder Ton aus dem NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe übertragen werden könnten. Dann wären alle Platzprobleme gelöst, die Journalisten glücklich und die politischen Verwerfungen eingeebnet. Was hindert die Richter? Wirklich das Gesetz, wie sie sagen?

Vermutlich nicht. Mehr scheint es der eigene Unwille zu sein, es etwas zu strapazieren. „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig“, heißt es wörtlich, nur: Ist eine Übertragung eine Aufnahme? Wäre die Live-Sendung in den Zweitsaal eine öffentliche Vorführung?

Darüber kann man streiten, sollte aber nicht vergessen, dass es im Videobildsaal dann reichlich von der gesetzlich vorgeschriebenen Öffentlichkeit gäbe, aber keinen gesetzlichen Vorsitzenden Richter mehr. Dem jedoch obliegt „die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung“, kurz: die Sitzungspolizei. Auch dieser Mangel mag zu heilen sein, der Vorsitzende könnte das Nachbarpublikum ebenfalls per Livestream verfolgen, um Ruhe bitten oder den Saal räumen lassen, wenn es nötig wird. Doch sollte das Gericht ausgerechnet im angeblich größten und wichtigsten Prozess seit Jahren anfangen, damit zu experimentieren?

Nein, das wollen sie nicht, die Münchner Richter. Man kann sie verstehen. Denn täten sie es, würden sich sogleich die nächsten Experten finden, die das Verfahren infrage stellen. Es gäbe die nächste Diskussion. Im Recht sind Experimente aus gutem Grund eher etwas für die Wissenschaft, seltener für die Praxis.

Deshalb sollte die Politik vorangehen. Ein Gesetz könnte klarstellen, wann eine Video-Öffentlichkeit zulässig ist. Stimmen dazu melden sich schon. Doch damit wäre ein größeres Fass geöffnet. Denn außer den Persönlichkeitsrechten der Beteiligten gibt es kein Argument, Kamera- und Radioleute generell aus Sitzungen auszusperren. Diese Rechte könnten abgestuft geschützt werden. Im Strafprozess sollten sie heilig sein. Dass es dagegen keine Live-Berichte von Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts gibt, ist ein Anachronismus.

Vor knapp drei Jahren übrigens hat der Präsident dieses Gerichts, Andreas Voßkuhle, mehr Mut zu Kameras in den Sälen der Justiz gefordert. Er wird dies jetzt vor dem Zschäpe-Prozess kaum wiederholen. Er weiß sehr gut: Es ist der falsche Zeitpunkt für die richtige Debatte.

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