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Streit um Verfassungsrichter: Sie nennen es Moral

Die Debatte um die Wahl des Würzburger Juristen Horst Dreier zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts ist verlogen. Denn die Einwände der Union kommen viel zu spät.

Wird es ab kommenden Freitag einen neuen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts geben oder nicht? Noch ist völlig unklar, ob die Wahl des Würzburger Juraprofessors Horst Dreier im Bundesrat stattfindet oder ob der Tagesordnungspunkt bereits gestrichen wurde. Schuld an der Hängepartie trägt die Union, die – reichlich spät – Widerstand gegen den von der SPD vorgeschlagenen Kandidaten angemeldet hat.

Keine Frage: Wären die Einwände der Union gegen den Staatsrechtler ernst zu nehmen, hätte jedes Gemäkel über die Verschiebung der Wahl zu verstummen. CDU und CSU werfen dem national und international angesehenen Juristen unter anderem eine zu laxe Haltung im Embryonenschutz vor. Dreier verneine die Menschenwürde befruchteter Eizellen, das sei mit christlichen Wertvorstellungen nicht zu vereinbaren. Deshalb, so teilte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger vorletzte Woche mit, finde Dreier in der Union nicht die notwendige Unterstützung.

Menschenwürde und der Beginn des menschlichen Lebens sind ohne Zweifel ethische Grundfragen. Im Übrigen ist die Entscheidungsmacht des Bundesverfassungsgerichts so groß wie in keiner vergleichbaren westlichen Demokratie. Deshalb sollten Volksvertreter sehr gut abwägen, wen sie in dieses Gericht und erst recht an seine Spitze wählen.

Die Union lehnt Dreier aber just in dem Moment ab, in dem die eigene Bundesministerin die Forschung an Embryonen wesentlich erweitern will. Am Donnerstag wird sich Annette Schavan im Bundestag für eine Gesetzesänderung einsetzen, in deren Folge aus Embryonen gewonnene Stammzellen in noch weit größeren Umfang zu Forschungszwecken eingesetzt werden können. Somit haben auch nach Überzeugung regierender Unionspolitiker künstlich befruchtete Eizellen offenbar noch keine Menschenwürde. Denn in die Menschenwürde darf niemals eingegriffen werden, nicht zu Forschungszwecken und nicht zur Rettung des Lebens anderer. Die Einwände der Union gegen Dreier zeugen von Doppelmoral.

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