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Koste es, was es wolle: Am Stuttgarter Bahnhofsprojekt wird weitergebaut.

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Stuttgart 21: Ein sorgenfreier Umgang mit dem Geld der Wähler

Am Stuttgarter Bahnhofsprojekt wird weitergebaut - koste es, was es wolle. Die Entscheidung hat vor allem einen Grund: Es geht um politische Macht.

In Berlin-Lichtenrade fehlt Geld für einen Tunnel, der die Anwohner vor dem Lärm der Eisenbahn in Richtung Dresden schützt. Zwischen Düren und Köln-Ehrenfeld müssten die Gleise dringend erweitert werden, ständig stauen sich dort die Züge. Von Bielefeld nach Paderborn zuckeln die Bahnen streckenweise mit nur 40 Stundenkilometern durch die Gegend. Eine Brücke zwischen Itzehoe und Heide in Schleswig-Holstein ist so altersschwach, dass sie nur noch leichtgewichtige Güterzüge befahren können. Und an 1900 Bahnhöfen überall im Land gibt es nicht einmal Lautsprecher für Durchsagen oder Anzeigetafeln.

Die Liste der Mängel im System der Deutschen Bahn ist lang. Immer liegt es am Geld. Obwohl der Staatskonzern 2012 nahezu drei Milliarden Euro Gewinn eingefahren hat, obwohl er regelmäßig und ungeniert die Preise erhöht, sind oft nicht einmal Kleckerbeträge drin, mit denen der Zugverkehr schneller, sicherer und attraktiver gemacht werden könnte.

Seit Dienstag gibt es eine neue Begründung dafür: Das Bahn-Management braucht alles Geld, um in Stuttgart weiter den oberirdischen Sackbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umwandeln zu können. Auf knapp sieben Milliarden Euro könnten die Kosten für das Mammut-Projekt samt seinem weit verzweigten Tunnelsystem steigen, räumt das Unternehmen nun ein – obwohl die Bauarbeiten durchs tückische schwäbische Gestein gerade erst begonnen haben. Wahrscheinlich werden es am Ende noch viel mehr. Vor der Hacke ist es dunkel, sagen die Bergleute.

Die Ankündigung des Konzerns, die Mehrkosten allein über Schulden zu finanzieren, klingt nicht besonders glaubwürdig. Dabei hatte sich die Bahn vorgenommen, in den nächsten Jahren zu einem der beliebtesten Arbeitgeber zu werden, zum Öko-Konzern. Nun schießt sie sich mit der Entscheidung, Stuttgart 21 nicht zu stoppen, selbst ins Bein.

Auf Jahre werden Schmähungen und Proteste die Arbeiten begleiten. Die Manager, allen voran Vorstandschef Rüdiger Grube, gelten schon jetzt als Dickköpfe, die eine aus der Zeit gefallene Idee auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen – gegen die Stadt, gegen das Land Baden-Württemberg und den Willen vieler Bürger. Obwohl die Risiken als kaum beherrschbar gelten und der Bahnhof niemals wirtschaftlich sein wird. Und obwohl sie mit den regierenden Grünen über die Mehrkosten vor Gericht streiten müssen. Den Transrapid, ein ähnlich heikles Vorhaben, hat Hartmut Mehdorn einst einigermaßen elegant erledigt. Grube hätte sich daran ein Beispiel nehmen können.

Alternativen zu dem Tiefbahnhof, die seit Jahren auf dem Tisch liegen, hat die Bahn nie ernsthaft geprüft. Ihr Verweis auf geltende Verträge und korrekt abgeschlossene Planfeststellungsverfahren hat nie recht verfangen, den Vorwurf der Intransparenz konnte sie nie entkräften. Einzig die Idee der Stuttgart-21-Planer, aus den riesigen Flächen des Gleiskörpers attraktiven Baugrund in einer beengten Stadt zu machen, spricht dafür. Doch rechtfertigt ein lokalpolitisch motiviertes Bestreben eine Entscheidung von solcher Tragweite für den Rest der Republik?

Diese Frage werden sich auch Angela Merkel und ihr Verkehrsminister Peter Ramsauer stellen lassen müssen. Ihr Interesse am Weiterbau des Tiefbahnhofs ist mindestens ebenso groß wie das der Bahn. Weil beide fürchten, nach dem Desaster um den Berliner Flughafen für das Scheitern eines zweiten Großprojektes verantwortlich gemacht zu werden, zumal kurz vor einer Bundestagswahl. Weil sich beide schon vor Jahren zu dem Vorhaben bekannt haben und glauben, ein Abrücken davon als Schwäche ausgelegt zu bekommen. Und weil sie den Grünen, die bereits eine Landtags- und eine Bürgermeisterwahl mit dem Thema gewonnen haben, keinen weiteren Sieg gönnen.

Das sind die Überlegungen zweier Machtmenschen. Bei den Bürgern nährt das Weiterso aber das Bild einer Politikerkaste, die auf Prestigeprojekte scharf ist und sorgenfrei mit dem Geld der Wähler umgeht. Und die sich von den Sorgen der Anwohner in Berlin-Lichtenrade oder der Bahnkunden zwischen Düren, Köln, Paderborn oder Bielefeld längst meilenweit entfernt hat.

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