zum Hauptinhalt

Suche nach der Infektionsquelle: Ehec und die Detektive

Die Gesundheitsministerien der Länder äußern sich bisher nicht: Verspeisten die 2325 registrierten Ehec-Patienten nun großenteils Sprossen, ja oder nein? In dem Tohuwabohu der Behörden ist eine andere Warnung vollkommen untergegangen.

Um die aktuelle Version der offiziellen Empfehlungen zum Thema Ehec zu bekommen, muss man schon detektivische Fähigkeiten haben. Das Robert Koch-Institut (RKI), dem die Befugnis für Verbraucherwarnungen entzogen wurde, verweist inzwischen auf die Webseite des Bundesamts für Risikobewertung (BfR). Dort wird zwar von der aktuellen Sprossen-Theorie des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums berichtet, das BfR bleibt jedoch weiterhin bei seiner stereotypen Dauerwarnung vor Tomaten, Salatgurken und Blattsalaten.

Doch die Leute vom RKI haben ferngesehen und berichten auf ihrer Webseite süffisant, das BfR habe „am 6. Juni im ZDF-HeuteJournal“ „eine mündliche Verzehrsempfehlung zu Sprossen geäußert“, ohne deren Inhalt wiederzugeben. Den findet man, allerdings unter dem 5. Juni, in der Online-Mediathek des ZDF: In der Sendung sagte BfR-Präsident Andreas Hensel in einem Nebensatz: „Wir schließen uns aber der Warnung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums an …“ Damit ist es wohl mehr oder minder amtlich: Der lebensgefährliche Erreger könnte auch in Sprossen stecken.

Die Sprossen-Hypothese der Niedersachsen ist auf den ersten Blick schlüssig. Im Norden gibt es viele Fälle, die scheinbar nicht zusammenhängen. Dazu würde eine Verteilung über einen Großmarkt oder andere lokale Vertriebswege passen. Die in Süddeutschland und im Ausland registrierten Ehec-Infektionen treten eher gehäuft auf, mit vermuteten oder belegten gemeinsamen Infektionsquellen. Das deutet auf ein Produkt, das von zentralen Lieferanten nach Süden gebracht wird. Der Verdacht fiel deshalb sofort auf Fertigsalate oder Salatzutaten, wie Dressings oder Sprossen. Weil Sprossen als Auslöser von Ehec-Epidemien bekannt und berüchtigt sind, wird vom rohen Verzehr für Immungeschwächte und andere Risikopersonen schon lange abgeraten.

Es hätte also von Anfang an nahe gelegen, präventiv auch vor Sprossen und anderen Salatzutaten aus Norddeutschland zu warnen. Doch die zwei bisher ausgewerteten Studien des RKI, bei denen zusammen 71 Ehec-Patienten und dazu passende Kontrollpersonen interviewt wurden, ergaben keinen Hinweis auf Sprossen, obwohl man danach intensiv fragte, wie RKI-Präsident Reinhard Burger betont. Zusätzlich wurden angeblich auch die über 2300 anderen Ehec-Patienten von den Landesbehörden gründlich interviewt. Demnach haben die Ehec- Infizierten nicht häufiger Sprossen gegessen als gesunde Vergleichspersonen. Keimträger könnte also auch ein Lebensmittel sein, das dieselben Vertriebswege wie die niedersächsischen Sprossen hat.

Oder die Behörden haben Fehler gemacht. Falls man, zum Beispiel, abgesehen von den beiden RKI-Studien nicht gründlich nach Sprossen gefragt hat, wäre das ein tödliches Versäumnis. Es ist deshalb erstaunlich, dass die Gesundheitsministerien der Länder, die für die Ehec-Meldungen und Befragungen zuständig sind, sich bisher nicht geäußert haben: Verspeisten die 2325 registrierten Ehec-Patienten nun großenteils Sprossen, ja oder nein?

In dem Tohuwabohu der Behörden ist eine andere Warnung vollkommen untergegangen: Neben dem verdächtigten Gemüse kommt nämlich auch der Mensch als Infektionsquelle infrage. Nicht nur die an Durchfall Erkrankten, sondern auch eine unbekannte Dunkelziffer von symptomfreien Ehec-Infizierten scheiden den Erreger mit dem Stuhl aus. Die Schwierigkeiten bei der Eingrenzung des verunreinigten Lebensmittels könnten auch daran liegen, dass einige Erkrankte gar nicht über die Nahrung, sondern durch Schmierinfektionen angesteckt wurden. Dieser Infektionsweg spielt bei Erwachsenen erfahrungsgemäß nur eine untergeordnete Rolle. Trotzdem kann Händewaschen vor dem Essen in Zeiten der Ehec-Epidemie nicht schaden.

Es ist allerhöchste Zeit, die Jagd nach dem lebensgefährlichen Erreger bundesweit in eine Hand zu geben, statt die Eitelkeiten von Ministern und Behörden länger zu dulden. Das Robert Koch-Institut, das zu Unrecht in die Kritik geraten ist, besitzt als einzige deutsche Einrichtung die dafür erforderliche Fachkompetenz.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false