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Meinung: Sündige Meile

Bei der Gratisflug-Affäre machen nicht nur Politiker eine schlechte Figur

Von Robert Birnbaum

Cem Özdemir ist weg, Gregor Gysi ist gegangen. Noch ein n gefällig? Also: Rezzo Schlauch, Fraktionschef der Grünen, ist ebenfalls privat einmal mit Bonus-Meilen der Lufthansa geflogen, umsonst also, in den Urlaub, nach Thailand. Die Meilen hat er bei Dienstflügen gesammelt. Ein klarer Verstoß gegen die Regel, die der Bundestag sich selbst gegeben hat. Eine grobe Dummheit, die noch ein gutes Stück dümmer wird dadurch, dass der Grüne mit der Sache bis jetzt hinter dem Berg gehalten hat. Wieder also ein Rücktritt fällig? Gemach!

Polit-Skandale haben es an sich, dass sie schnell unübersichtlich werden. Der Skandal verzweigt sich in Unterskandale, die richtige oder falsche Reaktion auf den Skandal wird zum eigenständigen Skandaltatbestand. Wenn sich nahezu alle Beteiligten dann noch so ungeschickt benehmen wie in dieser „Bonusmeilen-Affäre“, nimmt das Chaos seinen Lauf. Nur gerät dabei leicht der Kern der Sache aus dem Auge.

Versuchen wir die Dinge also noch einmal etwas zu ordnen. Worin besteht das Vergehen der Bonus-Sünder? Sie haben eine sich selbst gegebene Regel verletzt. Das tut man nicht als Volksvertreter, der Vorbild sein soll, doppelt nicht als Fraktionschef, der doppelt Vorbild sein soll: dem Volk und seinen Vertretern. Es ist mithin Schaden angerichtet worden an der Moral. Das kann in schweren Fällen ja durchaus einen Rücktrittsgrund liefern. Aber wenigstens ein bisschen schwer müssen die Fälle dann schon sein.

Zu sagen, dass die „Miles-and-More“-Mogelei kein solcher schwerer Fall ist, ist nicht besonders populär. Wer gerade das letzte Strafmandat bezahlt hat, weil er in eine offenkundig zum Zweck der Säckelschneiderei und nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit aufgestellte Radarfalle gefahren ist; wen das Finanzamt gerade kostenpflichtig gemahnt hat, weil er seine Steuererklärung ein paar Tage zu spät abgegeben hat; kurz, der normal von Vater Staat geplagte Bürger entwickelt auch denen da oben gegenüber wenig Nachsicht. Zumal, wenn Geld im Spiel ist.

„Das Geld der Steuerzahler“, wie es dann gerne heißt – aber das ist im konkreten Beispiel schon falsch. Natürlich kann man argumentieren, wenn Schlauch – und wer da sonst noch kommen mag – sich regelgerecht verhalten hätte, hätte die Bundestagskasse schon früher ein paar tausend Euro mehr gehabt und nicht erst nach der Rückzahlung der reuigen Sünder. Doch wenn ein Abgeordneter seine Meilen ungenutzt verfallen lässt, macht ihm niemand einen Vorwurf. Wenn er sich gar nicht erst Meilen gut schreiben lässt, auch nicht. Die Regelung ist also gut gemeint, aber wenig konsequent.

Das Dumme ist nur, dass das inzwischen nur noch wenig interessiert. Daran tragen alle Beteiligten ein gerüttelt Maß an Schuld. SPD und Grüne etwa, die sich zu Opfern eine Kampagne stilisieren – Münteferings Liste mutmaßlicher Verschwörer wird täglich länger und absurder. Oder Bundestagspräsident Thierse, der an die Lufthansa die kuriose Forderung richtet, die Vertraulichkeit ihrer Kundendatei zu brechen mit der noch kurioseren Begründung, kriminelle Schurken hätten sie ja auch gebrochen. Aber auch die Fluggesellschaft selbst sieht nicht so gut aus, die erst so tut, als könnten die sensiblen Daten gar nicht von ihr stammen, um dann doch einräumen zu müssen, dass 4000 Mitarbeiter sie unkontrolliert lesen können.

All dieser Schlachtenlärm übertönt die Frage: Ist der Verstoß gegen die Moral so gewaltig, dass er mit dem Verlust von Amt und Würden geahndet werden soll, gar muss? Er ist es nicht. Er ist es nicht einmal unter den verschärften Bedingungen grünen Moralisierens. Der Schaden, den einer wie Schlauch an der eigenen Glaubwürdigkeit nimmt, ist Strafe genug. Der Fall zeigt aber eins: Für alle anderen, die jetzt noch etwas zu beichten hätten, wird es hohe Zeit. Wer den Skandal nicht bei den Hörnern packt, sondern von Kampagnen jammert, wird selbst dann sein Opfer, wenn seine Schuld gering ist. Auch ein Luftballon kann viel Krach machen, wenn ihn jemand zum Platzen bringt. Besser, man lässt ihm beizeiten die Luft ab.

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