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Meinung: Susanne von Arabien

Beliebt waren Frauen wie Susanne Osthoff nie. Aber die Welt wäre ärmer ohne sie

Es ist seltsam: Da bricht eine Frau in eine Krisenregion auf, engagiert sich für die Menschen dort, riskiert Leib und Leben – und jetzt nimmt Deutschland übel. Oder ist zumindest enttäuscht. Enttäuscht, weil Susanne Osthoff ihr erstes Interview nach ihrer Entführung im Irak nicht den „Tagesthemen“ gibt, sondern dem arabischen Sender Al Dschasira. Gekränkt, weil sie ihr Leben jenseits der Medienrepublik lebt und ihre Geschichte nicht exklusiv verkauft, sondern mit ihrer Tochter an einem geheimen Ort alleine sein möchte. Befremdet, weil sie in das Krisenland auch noch zurückzukehren gedenkt. Nun mehren sich Stimmen, die sagen: Diese Frau ist keine von uns, sie glaubt an Allah, hat mit ihrer Familie gebrochen, ist aus dieser Gesellschaft ausgetreten. Sollte sie wieder entführt werden, möge der Staat sie nicht mehr raushauen. Bitte nicht mit unseren Steuergeldern.

Wann wird hierzulande jemand zum Helden, zur Heldin erklärt? Nur dann, wenn dieser Mensch den Lebensvorstellungen der Mehrheit entspricht und der Tradition des christlichen Abendlands verhaftet ist? Und wann gilt er oder sie als Opfer, das unsere Solidarität verdient? Nur dann, wenn diese Anteilnahme dankbar gewürdigt wird? Der Fall der Susanne Osthoff gibt zu denken, ebenso wie der des vom Geheimdienst verschleppten Deutsch-Libanesen Khaled al Masri. Mit der Offenheit und Toleranz dieser sich als offen bezeichnenden Gesellschaft ist es wohl doch nicht so weit her. Wer nicht ins Bild passt, von dem wendet sich die öffentliche Aufmerksamkeit ab. Die Empörung über die mögliche außenpolitische Duldung des Unrechts, das al Masri widerfuhr, hält sich jedenfalls ebenso in Grenzen wie die öffentliche Anteilnahme an Osthoffs Schicksal zum Zeitpunkt ihrer Entführung.

Erst jetzt wird leidenschaftlich über sie diskutiert. Dabei schwingt auch ein Ressentiment mit, dessen Toleranzgrenzen eng gesteckt sind. Susanne Osthoff hat wahrscheinlich keine miesen Geschäfte betrieben und keine Gesetze gebrochen. Sie benimmt sich nur nicht so, wie es dem geläufigen Frauen- und Helferinnenbild entspricht. Aber das deutsche Recht misst nicht mit zweierlei Maß, es schützt auch freche Mädchen und unwürdige Greisinnen. Die Gesinnung ist frei – solange sie die Menschenrechte achtet.

Susanne Osthoff ist vermutlich keine Heldin und keine Mutter Teresa. Wir wissen nicht, was sie antreibt, ob sozialer Mut oder privater Übermut, Helfersyndrom, Abenteuerlust, der Kick des Verbotenen, Trotz gegen eine Provinzmentalität, unter der sie gelitten haben mag, oder bloß Leichtsinn. Aber selbst wenn sie im Irak nicht nur humanistische Ziele verfolgt, steht ihr der Schutz des Gesetzes zu, so unbequem der Gedanke auch ist. Sie will zurzeit nicht in Deutschland leben. Ist sie deshalb keine Deutsche mehr? Prominente, die sonnige Strände oder Steuerparadiese bevorzugen, werden deshalb auch nicht expatriiert. Sie will ihre Arbeit fortsetzen, trotz der Gefahr. Tun das Hilfsorganisationen, Reporter, Unternehmer nicht auch, im Irak und anderen Krisen- und Kriegsgebieten? Weil sie tun, was unsereins sich nicht zutraut, zollt man ihnen Respekt.

Man mag Susanne Osthoff nach allem, was man von ihr weiß, nicht sympathisch finden, sie gar für verrückt halten. Auch Pioniere sind übrigens so, jene Abenteurer, Missionare und Forscher, die wir als historische Figuren bewundern. Für Abenteurerinnen gilt das allemal: Es ist gerade erst gut 100 Jahre her, dass Frauen, die in die Welt ziehen wollten, dafür mit ihrer Familie und ihrer Gesellschaft brechen mussten. Beliebt waren sie nie, und nicht alle von ihnen haben die Menschheit bereichert. Aber die Welt wäre ärmer ohne sie. Ohne jene, die sich die Freiheit nehmen, die sie meinen. Und die unsere Selbstgewissheit stören.

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