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Baschar al-Assad: Er gehört zur Vergangenheit Syriens - nicht zur Zukunft.

© dpa

Syrien-Konflikt: Verhandlungen mit Assad werden scheitern

Die Bildung einer Übergangsregierung in Syrien ist unrealistisch. Daher wäre es klüger, wenn die Opposition vor Ort gestärkt werden würde. Zudem müssen Vorbereitungen für die Ära nach Assad getroffen werden.

Die "Aktionsgruppe für Syrien" fordert im Abschlusskommuniqué ihres Genfer Treffens am 30. Juni 2012 die erneute Verpflichtung der Konfliktparteien auf einen umfassenden Waffenstillstand. Das Kommuniqué sieht zudem die Bildung einer Übergangsregierung aus Vertretern der derzeitigen Regierung und der Opposition vor und legt Prinzipien und Eckpunkte eines Übergangs fest. In seinem abschließenden Statement plädierte Kofi Annan eindringlich an alle Beteiligten, den Waffenstillstand einzuhalten und den Übergangsplan umzusetzen, denn: "Die Worte von heute dürfen nicht die Enttäuschungen von morgen werden."

Allerdings ist völlig unklar, wie ein Scheitern diesmal verhindert werden soll. Das Kommuniqué enthält diesbezüglich keine qualitativ neuen Elemente und vermag die Differenzen - insbesondere zwischen dem Westen und Russland - über die Zukunft des Regimes nur mühsam zu verdecken. Zwar sprechen sich die Mitglieder der Aktionsgruppe gegen eine weitere Militarisierung des Konflikts aus. Aber es wäre naiv zu erwarten, dass die finanzielle, logistische und militärische Unterstützung unterschiedlicher Konfliktparteien durch die Genfer Teilnehmer sowie durch die von der Teilnahme ausgeschlossenen Staaten - mit Iran und Saudi-Arabien fehlten in Genf zentrale regionale Akteure - nun ein Ende hätte. Längst ist die Auseinandersetzung in Syrien Teil einer regionalen Konfliktdynamik und zum Stellvertreterkrieg mutiert, der durch externe Unterstützung angeheizt wird.

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Daher gilt: So wünschenswert ein sofortiges Ende der Gewalt ist, so viele Vorteile ein verhandelter Übergang auch hätte: die Chancen auf Erfolg liegen bei Null. Weder Regime noch Opposition sind derzeit bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und über einen Übergang zu verhandeln. Das Regime sieht sich im Krieg, den es zu gewinnen gilt. Sprecher der Opposition lehnen es ab, mit dem Regime zu kooperieren und haben eine Ausweitung des bewaffneten Kampfes angekündigt. Für beide Seiten - und das wird anscheinend von der internationalen Gemeinschaft unterschätzt - ist es ein Kampf um die physische Existenz, der es nicht erlaubt, die Situation anders denn als Nullsummenspiel zu betrachten. Und das heißt, auf militärischen Sieg zu setzen.

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Damit steht die Konfliktdynamik vor Ort im krassen Gegensatz zu den Beschlüssen von Genf. Die Kontrolle des Assad-Regimes über das syrische Territorium und die Institutionen erodiert. Dieser Prozess hat in den letzten Wochen deutlich an Dynamik gewonnen: Das Regime hat (zumindest derzeit) die Kontrolle über ganze Landstriche, insbesondere in den Gouverneraten Aleppo und Idlib, verloren. Die militärischen Auseinandersetzungen sind bis in die Hauptstadt Damaskus vorgedrungen. Das Überlaufen bzw. die Flucht hochrangiger Militärs nehmen zu. Die Rebellen organisieren sich verstärkt in lokalen Militärräten, koordinieren ihre Aktivitäten mit denen in den Nachbarregionen und sind immer besser mit Waffen und Kommunikationsmitteln ausgestattet. Und sie arbeiten eng mit den Revolutionsräten und Lokalen Koordinationskomitees zusammen, die nach wie vor die zivile Protestbewegung tragen und zunehmend staatliche Funktionen übernehmen.

Wer an Assad festhält, verkennt die Realität

Es ist davon auszugehen, dass die Erosion zentralstaatlicher Kontrolle, und letztlich das Zusammenbrechen des Regimes, die Situation für die Bevölkerung weiter verschlechtern wird. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Opposition nicht in der Lage, effektiv die Kontrolle zu übernehmen. Dass es gelingt, beim Treffen verschiedener Oppositionskräfte am 2./3. Juli in Kairo unter der Ägide der Arabischen Liga die Zerstrittenheit der Opposition zu überwinden, ist äußerst unwahrscheinlich. Die Rebellen der sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA) etwa haben das Treffen boykottiert. Die FSA verfügt zudem nach wie vor nicht über zentrale Kommandostrukturen oder eine zivile Führung. Viele Rebellengruppen gehören nur nominell zur FSA, ihre Loyalität, ideologische Orientierung und Methoden sind äußerst fragwürdig. In den letzen Monaten haben Vergeltungsakte und brutale Angriffe auf staatliche Einrichtungen durch die Rebellen zugenommen. Vor allem aber hat das Regime bei seinen Rückzugsgefechten verbrannte Erde hinterlassen und auch massive Menschenrechtsverletzungen nicht gescheut.

Die internationale Gemeinschaft sollte der Realität ins Auge sehen: Es wird in absehbarer Zeit keine verhandelte Regelung und keine Einheitsregierung nach Muster des Kompromisses im Jemen geben. Die Gewalt in Syrien wird nicht durch Verhandlungen, sondern nur durch den Sieg oder die Erschöpfung einer Seite beendet werden. Der Weg dahin könnte durch eine ausgedehnte Phase des Zerfalls staatlicher Strukturen, zunehmender Anarchie, von Vergeltungsakten und im schlimmsten Falle ethno-konfessioneller Gewalt mit genozidalen Ausmaßen führen. Allerdings: Auch die Sorge vor einer Ausweitung des Bürgerkriegs und die berechtigten Zweifel an der ideologischen Ausrichtung einzelner Rebellengruppen dürfen nicht den Blick darauf verstellen, dass das Assad-Regime kein Stabilitätsgarant mehr sein kann. Das Festhalten an ihm und an seinem Sicherheitsapparat ist kontraproduktiv.

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Für die "Freunde Syriens" sollten daher nicht Bemühungen um die Bildung einer Übergangsregierung aus Vertretern von Opposition und Regierung im Vordergrund stehen, sondern konkrete Planungen für den Tag danach. Dabei sollte nicht die Exilopposition die erste (und schon gar nicht die einzige) Ansprechpartnerin sein. Vielmehr gilt es, die zivilen Kapazitäten der lokalen (zivilen und militärischen) Strukturen vor Ort zu stärken und mit ihren Vertretern konkrete Maßnahmen auszuarbeiten, um für Ordnung zu sorgen und Vergeltungsakte zu stoppen. Gleichzeitig muss der Druck auf Assad und seine Entourage durch eine Ausweitung der Sanktionen - in Kooperation mit den arabischen Staaten, mit lateinamerikanischen Ländern etc. - weiter erhöht werden. Letztlich steht zu befürchten, dass die Konfliktdynamik solch katastrophale Folgen zeitigt, dass der Westen unter immensen moralischen Druck gerät, direkt militärisch zu intervenieren - auch wenn dafür kein Sicherheitsratsmandat vorliegt. Hierfür sollte die Nato in enger Absprache mit den Arabischen Staaten und den humanitären Organisationen Vorbereitungen treffen.

Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und forscht dort u.a. zum politischen Wandel im Nahen Osten und zur internationalen Politik gegenüber der Region. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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