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Was passiert, wenn Syriens chemische Waffen in die falsche Hände fallen?

© dpa

Syrische Chemiewaffen: Ein Kontrollverlust ist wahrscheinlich

Das syrische Chemiewaffenprogramm soll eines der größten weltweit sein. Die Gefahr, dass die Waffen in die Hände von Terroristen fallen, ist groß. Doch was kann der Westen dagegen tun? Die Antwort darauf gibt wenig Grund zur Zuversicht.

Was ist schlimmer als ein Diktator, der Massenvernichtungswaffen besitzt? Ein Diktator, der im Kampf mit Rebellen die Kontrolle über diese Waffen verliert. Das ist der Albtraum, der in Syrien bald Realität werden könnte. Denn seit Montag ist quasi offiziell, was die Welt bisher ahnte: Damaskus besitzt chemische Waffen – und womöglich auch biologische Kampfstoffe. Mit dem indirekten Eingeständnis bekommt dieser Konflikt eine neue Dimension.

Die Gefahr scheint weniger zu sein, dass Präsident Assad die unkonventionellen Waffen einsetzt; das Horrorszenario ist vielmehr, dass diese Kampfstoffe im Bürgerkrieg in die Hände von Extremisten, Terroristen oder skrupellosen Schmugglern fallen. Oder dass die Gift- und Nervengase in der Region verbreitet werden und zum Einsatz kommen. So wie die konventionellen Waffen aus den Arsenalen des gestürzten libyschen Diktators Muammar al Gaddafi nun überall in Afrika auftauchen. Die Gefahr, die von der unkontrollierten Proliferation der real existierenden syrischen Chemiewaffen ausgeht, ist eine der größten Bedrohungen in der Region. Und sie ist gegenwärtig drängender als die mögliche Gefahr, die vom iranischen Nuklearprogramm ausgeht

Bildergalerie: Tage der Entscheidung in Syrien.

Der US-Geheimdienst ebenso wie Militärexperten gehen davon aus, dass Syrien seit den 70er Jahren ein Chemiewaffenprogramm aufbaut und hunderte Tonnen Nerven- und Giftgase wie Sarin und VX besitzt mitsamt Raketen- und Trägersystemen. Es soll eines der größten Arsenale chemischer Waffen weltweit sein – auch wenn es keine verlässlichen Angaben gibt und ungeklärt ist, inwieweit es einsatzfähig ist. Aufgebaut hat Vater Hafez al Assad das Programm als Antwort auf die nukleare Aufrüstung Israels – als Waffe des armen Bruders, der sich keine Atomwaffen leisten kann. Eingesetzt hat Syrien das Arsenal aber weder im Krieg mit Israel, noch hat es Tel Aviv daran gehindert, 2007 eine mögliche Atomanlage in Syrien anzugreifen.

Doch nun sieht sich Syriens Regime plötzlich durch neue Feinde bedroht: die eigene Bevölkerung und die westlichen Staaten, die deren Aufstand unterstützen. Militärisch eingreifen will der Westen allerdings nicht, und damit ist die Gefahr, dass Assad die Chemiewaffen gegen westliche Staaten abfeuert, gering. Gegen die syrische Bevölkerung wird Assad sie wohl auch nicht einsetzen – denn dies wäre einer der wenigen Schritte, der eine ausländische Militärintervention doch noch auslösen könnte.

Grafik: Auseinandersetzungen in Syrien

Daher ist die entscheidende Frage, was mit den Waffen passiert, wenn das Regime zusammenbricht. Die Antwort ist einfach: Sie werden verschwinden. Die Erfahrungen nach den Regimestürzen im Irak und in Libyen legen das nahe. Im Irak konnten auch 200 000 amerikanische Soldaten nicht verhindern, dass mehr als 330 Tonnen Sprengstoff allein aus dem Militärkomplex Al Qaqaa verschwanden und später bei Anschlägen gegen US-Truppen verwendet wurden. Die Abspaltung Nord-Malis war nur möglich aufgrund der Waffenschwemme aus Libyen. So könnten die syrischen Chemiewaffen bei der Hisbollah im Libanon, in Afghanistan oder im Irak auftauchen. Oder von verantwortungslosen Rebellen oder verzweifelten Offizieren nach dem Zusammenbruch der Befehlskette missbraucht werden.

Muss der Westen nun also militärisch eingreifen, um dies alles zu verhindern? Die Hinweise darauf, dass Syrien Chemiewaffen besitzt, waren bisher eher ein Grund zur Zurückhaltung. Außerdem wäre unsicher, ob die Sicherung überhaupt gelänge. Das Washingtoner Verteidigungsministerium hat schon vor Monaten berechnet, dass allein 75 000 Soldaten nötig wären, um die vermutlich bis zu 50 kleinen Produktions- und Lagerstätten chemischer Kampfstoffe und der Waffenträger in Syrien zu sichern.

Bleiben also nur die vergleichsweise kleinen Schritte: keine weiteren Waffenlieferungen nach Syrien, Ausbildung von Rebellen für die Sicherung der Stätten und Garantien für die syrischen Militärs, die dies heute tun.

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