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Der Schweizer Tennisspieler und Grand-Slam-Gewinner Stanislas Wawrinka hat das Zitat „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ auf seinen Unterarm tätowiert.

© AFP

Tätowierungen: Keine Kurzgeschichten auf Unterarmen

Unser Kolumnist Matthias Kalle hat eigentlich keine richtige Meinung zu Tätowierungen. Ob dafür oder dagegen, er weiß es nicht. In einem ist er aber sicher: Große Zitate gehören unter die Haut und nicht drauf.

Zu Tätowierungen fällt mir eigentlich auch nichts ein. Ich meine das jetzt nicht kulturpessimistisch – ich meine das eher resignierend. Ich wünschte, mir würde etwas zu Tätowierungen einfallen, ich wünschte, ich könnte schlau und schnell begründen, warum ich keine Tätowierung habe, warum ich nie darüber nachgedacht habe, ob ich eine Tätowierung haben will – tatsächlich bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich für oder gegen Tätowierungen bin, also jetzt ganz allgemein.

Ich habe mal von einem gehört, der sich eine Kicker-Management-Mannschaft zusammenstellen wollte. Das Zusammenstellen so einer Mannschaft ist eine Kunst für sich: man hat nur eine bestimmte Summe Geld zur Verfügung, man darf nur eine gewisse Anzahl von Spielern aus einer Mannschaft in seiner eigenen Mannschaft haben, das ist alles sehr kompliziert. Vor einigen Jahren hörte ich von jemanden, der seine Kicker-Mannschaft ausschließlich mit Spielern aus Bosnien-Herzegowina bestückte und damit großen Erfolg hatte. Aber ich wollte von dem erzählen, der sich vorgenommen hatte, in seiner Mannschaft nur Spieler zu haben, die nicht tätowiert sind. Er hat es nicht geschafft.

Kennen Sie Stanislas Wawrinka? Der ist ein Schweizer Tennisspieler und hat die Australian Open gewonnen. Aber nicht nur das: Er ist der erste Tennisspieler überhaupt, der ein Grand-Slam-Turnier gewann und dabei ein Zitat des Dramatikers Samuel Beckett auf dem Unterarm tätowiert hat. Auf seinem linken Unterarm steht: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“

Eigentlich nicht schlecht. „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Interessanterweise fehlt auf Wawrinkas Tätowierung der Anfang des Zitats aus Becketts Stück „Worstward Ho“ – im Original: „All of old. Nothing else ever“, also : „Alles seit je. Nie was anderes.“ Aber warum? Auf dem Unterarm wäre bestimmt noch Platz gewesen. Oder war dem Tennisspieler das ganze Zitat dann doch zu pessimistisch? Nie was anderes – das deutet in die Vergangenheit und in die Zukunft, und als jemand, der ein Grand-Slam-Turnier gewinnt, würde man da schon in Erklärungsnöte kommen. Manche könnten ihn gar der Lüge bezichtigen und behaupten, dass da auf seinem Unterarm, das sei ja eine Riesengroßelüge. Denn gemeinhin darf man annehmen, dass der Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier relativ wenig mit dem Scheitern zu tun hat. Aber ist nicht die gesamte Tätowierung eigentlich eine Anmaßung?

Im Original hat das Zitat zwölf Wörter. Zwölf Wörter, in denen im Prinzip die ganze Lebensgeschichte eines Menschen drinsteht – muss man mehr wissen? Es geht allerdings auch mit noch weniger: Angeblich soll Ernest Hemingway in einer Bar zu Freunden gesagt haben, er wette, er könne eine Kurzgeschichte in sechs Wörtern schreiben. Hemnigway habe, so die Legende, die Wette gewonnen, auf eine Serviette soll er geschrieben habe: „For sale: Baby shoes. Never worn.“

Ob die Hemingway-Geschichte stimmt, konnte nie ganz geklärt werden – klar ist, dass es sich bei diesen sechs Wörtern um ein Meisterwerk handelt, ein trauriges, furchtbares, erschütterndes Meisterwerk. Würde sich das irgendjemand auf den Unterarm tätowieren?

Hoffentlich nicht – und wenn ich eine Meinung zu Tätowierungen hätte, dann vielleicht die: Anker, Einhörner, Kühlschränke – von mir aus. Große Zitate aber, die gehören unter die Haut. Und nicht drauf.

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