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Meinung: Teenie im Müll

15 Jahre World Wide Web: Aus der Revolution Internet droht ein Albtraum zu werden

Von Caroline Fetscher

Das World Wide Web ist 15 Jahre alt. Internet- Anschlüsse gibt es längst nicht mehr nur in den wirtschaftlichen Metropolen, sondern in entsprechend ausgerüsteten Cafes an entlegensten Winkeln der Welt. Abertausende der Milliarden Anschlüsse, die heute gezählt werden, finden sich in Andendörfern oder afrikanischen Vorstädten. In den Industrienationen nutzen es Haushalte aus nahezu jeder Schicht, und sei es nur, um auf Ebay Turnschuhe zu ersteigern oder Chatrooms zu besuchen. Jedwedes Business ist ohne Online- Zugang undenkbar geworden, von der Billigpension bis zur Großbank sind alle darauf angewiesen, „im Netz“ zu sein. Wer nicht drin ist, ist out, draußen. Universitäten, die zu den ersten Nutzern gehörten, arbeiten selbstverständlich mit dem Internet als Datenbank und Austauschplattform, wie Behörden, Raumfahrt, konfessionelle Gruppen, Politiker und sogar Gangster und Terrornetzwerke nicht mehr ohne auskommen. Lobbyisten für Menschenrechte oder Klimaschutz verwenden das Netz, um auf allen Kontinenten ihre Message zu verbreiten.

Als bisher größte, weltweite, soziale und kommunikative Revolution ist das Internet vom Alter her betrachtet zwar mitten in der Pubertät. Seine Technologie jedoch hat sich rasanter entwickelt, als alle anderen umwälzenden Innovationen, schneller als Fotografie, Eisenbahn, Telegrafie, Fernsprecher. Büroalltag vor 15 oder 25 Jahren: Für heutige Teenager, die ihn nur aus Filmen, Berichten, Erzählungen kennen, nimmt sich das aus wie ein vorindustrielles Szenario. „Steinzeit!“ sagen sie und lachen die Vergangenheit aus, als hätten sie allesamt die Zukunft erfunden, in der wir heute leben. Wirklichkeit, Gegenwart geworden scheint die Utopie einer Globalisierung von Partizipation und Kommunikation, die Vergesellschaftung von Wissen und Austausch, per Flatrate zu haben. Das Internet nicht zu begrüßen, ist Heuchelei.

Zugleich trägt diese Form des massenhaften Datenaustauschs ihre eigene Sabotage, ihren sozialen Virus, mit sich. Gewiss, es wird kommuniziert, das ist an sich immer Fortschritt. Aber wie? Worüber? Mit welchem Ziel und Sinn? Man muss gar nicht übermäßiges Moralisieren gegenüber dem Cyberspace mobilisieren, um zu erkennen, dass die Milliarden Daten auch das ungezählte Multiplizieren von Müll erlauben. Spam und Verschwörungstheorien, betrügerische Werbeangebote oder Ideologien wie Islamismus und Antisemitismus können auch da ausgesät werden, wo jeder Boden an Bildung fehlt, um die Angebote, die Erklärungsmodelle einordnen und sich dagegen immunisieren zu können. Es ist ein alter Hut, der zugleich immer neuer wird: Notwendig geworden ist inzwischen der systematische Unterricht bereits jüngster Kinder im Umgang mit dem virtuellen Raum. Zur Realitätsprüfung befähigt werden sie nur durch – Realität, die sie kritisch, analytisch, empirisch prüfen können. Aber die allererste Lehrergeneration wächst eben erst heran, die den Jüngeren das Mülltrennen im Netz überhaupt beibringen kann.

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