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Meinung: Tod oder Pranger

Saddam Hussein muss in Bagdad vor ein internationales Tribunal gestellt werden

Von Caroline Fetscher

Diktatoren sind lichtscheues Gesindel. Am meisten scheuen sie jenes Licht, das Lügen sichtbar macht: Die Helligkeit von Wahrheit und Gesetz. Nazi-Bonzen zogen sich zurück in unterirdische Bunkerstrukturen, um dem Arm der Besatzer zu entkommen. Dem gejagten Tyrannen Saddam Hussein dienten bereits während der Zeit seiner Herrschaft Kellergänge und Tunnelsysteme als permanente Versteck- und Fluchtoptionen. Deutlich spiegelt all das Unterirdische ein System der Perversion, ein de Sade’sches Regime im Schattenreich, das unter dem Glanz der Kitschpaläste lag.

Besser kann die Gesetzesferne eines Mannes kaum illustriert werden als durch dessen ultimativen Rückzug in ein Erdloch. Wer in einer Erdhöhle haust, wählt den klassischen Topos der Regression. Wir assoziieren die Höhle mit der Urzeit, mit der Ära des Faustrechts, Äonen entfernt von der modernen Justiz. Doch der Staat des verstörten „Neandertalers Saddam“, wie ihn die Bilder zeigten, war eine technokratische Mordmaschinerie, ein Eldorado für Denunzianten und Kleptokraten. Ein System, das Unrecht, Kriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Serie produzierte. All das gilt es jetzt dem Mann nachzuweisen, der aus dem Loch ans Licht gezogen wurde. Das Licht der Justiz soll auf seine Taten und die seiner Vasallen fallen. Nach der Nacht kommt die Morgenröte, wie ja auch nicht zufällig der Name der „Operation Red Dawn“ zum Aufspüren Saddams lautete; auch eine Lichtmetapher, eine mit nahezu orientalischen Anklängen.

Wie überall, wo es heute um Massenmord geht, bedeutet die Suche nach der Wahrheit an erster Stelle das Exhumieren Ermordeter. Auch die Prozedur vor dem Prozess, vor den Zeugenaussagen und Kreuzverhören, zieht Verstecktes aus der Erde ans Licht: stumme Opfer. Beweise. Ein Prozess ist ein komplexer Beleuchtungsvorgang. Klarer und klarer heben sich Details ab, aus Mosaiksteinen wächst allmählich ein Bild. Wie hochdifferenziert Ankläger, Richter und Verteidiger dabei vorgehen müssen, gerade, wenn es um Massenmord geht, das lehren heute die UN-Tribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien, an denen nur beste Rechtsexperten aus aller Welt zugelassen werden.

Maximale Kompetenz und Transparenz sind an diesen Gerichtshöfen die Voraussetzungen dafür, dass die internationale Justiz als Lichtquelle, als Aufklärerin fungiert. Da dem Irak die meisten solcher Voraussetzungen für einen Prozess gegen Saddam Hussein noch fast völlig fehlen, da es den US-Gerichten an Glaubwürdigkeit in der arabischen Welt mangelt, und weil der neue Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nur für Taten gilt, die ab Mitte 2002 begangen wurden, bleibt für den Fall Saddam wohl nur das: ein Ad-hoc-Tribunal der Vereinten Nationen nach den Modellen der Ruanda- und Jugoslawien-Prozesse – verbunden mit dem Vorbild des UN-Tribunals für Sierra Leone, das, anders als die beiden anderen Tribunale, im Land selbst tagt, in Freetown.

Damit solch ein Tribunal auch auf die geschlossenen, autokratisch oder diktatorisch regierten Gesellschaften der Region ausstrahlen kann, müssten in Bagdad erstklassige, international ausgebildete Juristen auch aus dem arabischen Raum mitwirken. Wie etwa der ägyptisch-amerikanische Cherif Bassiouni, der zurzeit betraut ist mit dem Neuaufbau des irakischen und des afghanischen Justizsystems.

Zentral wird das Thema der Todesstrafe sein, die aus der internationalen Justiz längst verbannt, in vielen, vor allem auch arabischen Staaten allerdings noch Usus ist. Der Verzicht auf dieses atavistische Erbe wäre ein Meilenstein für die Gerichtsbarkeit der gesamten Region. Hilfreich wäre als Mittel zum Überzeugen womöglich ein Deutungsangebot nach der Foucault’schen Schule: Dass der zum Weiterleben Verurteilte lebenslang mit der Erinnerung an die öffentlichen Aussagen seiner Opfer zu kämpfen haben wird, das ist im Effekt eine härtere Strafe als das jähe Beenden eines Lebens von außen. Denn wie die Lust an der Macht mit der Heimlichkeit der Verbrechen verbunden war, so erzeugt deren Veröffentlichung Missbehagen und Schande.

Eins steht auf alle Fälle fest: Jeder falsche Kompromiss in der Frage dieses Epoche machenden, künftigen Prozesses riskiert das Wertvollste: das volle Licht der modernen Justiz, der Aufklärung – die mit gutem Grund auf Französisch „les lumières“, auf Englisch „enlightenment“ heißt. Denn genau dieses Licht soll ja in die gesellschaftliche Dämmerung der übrigen prädemokratischen Welt herüberleuchten.

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