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Meinung: Tödliche Schlamperei

Auf den Salmonellen- Ausbruch in Fulda wurde zu spät reagiert

Alexander S. Kekulé Beim ersten Durchfall schöpfte noch niemand Verdacht. An warmen Tagen wie diesen kommt so etwas schon einmal vor. Auch als der zweite Patient über wässrige Stühle, Leibschmerzen und Übelkeit klagte, war das noch nichts Besonderes für die Ärzte. Dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag: Innerhalb weniger Stunden kamen Dutzende von Menschen in die Nothilfe, mit immer den gleichenSymptomen. Einige Ältere bekamen hohes Fieber mit Schüttelfrost und verloren das Bewusstsein. Am zweiten Tag waren die Betten bereits voll mit Durchfallpatienten, einige mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Gegen Mittag stellte das Labor die Diagnose: Salmonelleninfektion. Die insgesamt 751 Erkrankten ahnten nicht, dass sie Geschichte schreiben würden: In der Kleinstadt The Dalles im Bundesstaat Oregon war der erste biologische Anschlag der US-Geschichte verübt worden – damals, im September 1984.

Heute stehen Salmonellen auf der offiziellen Liste bioterroristischer Erreger. Seit den Milzbrandanschlägen in den USA herrscht weltweit erhöhte Wachsamkeit. Auch in Deutschland weiß jeder Medizinstudent, wie gefährlich Salmonellen sind – bei alltäglichen Ausbrüchen, ganz ohne bioterroristisches Horrorszenario. Seit dem Jahr 2000 schreibt das neue Infektionsschutzgesetz minutiös vor, was bei Salmonellendurchfall zu tun ist: Bei jedem Nachweis des Erregers ist das Gesundheitsamt „unverzüglich“ zu verständigen. Wenn mehr als eine Person betroffen ist, müssen sogar schon Verdachtsfälle gemeldet werden.

Es muss deshalb kritisch gefragt werden, warum es im Klinikum Fulda wochenlang zu immer neuen Infektionen kommen konnte. Beim ersten Ausbruch Ende April wurden gleichzeitig Fälle aus einem Seniorenheim gemeldet, das von derselben Küche versorgt wird. Damit war bereits klar, was das 40-köpfige Expertenteam in den kommenden Tagen als Ergebnis seiner Untersuchung verkünden wird: Die Salmonellen wurden durch Krankenhausessen übertragen. Nach geltendem Gesetz müsste bereits beim zweiten Verdachtsfall das Gesundheitsamt informiert werden. Am folgenden Tag stünde der Erreger fest und die gesamte Speiseversorgung würde von Amts wegen geschlossen werden. Dass gut zwei Wochen später eine zweite Erkrankungswelle begann und sogar diesen Montag noch neue Fälle auftraten, ist weder ein besonderes Rätsel noch ein Horrorfilm, wie die Verantwortlichen aus Fulda der Presse erklären – sondern schlicht und einfach Schlamperei.

Ursache von Salmonelleninfektionen sind fast immer Nahrungsmittel, die rohe Eier oder nicht ausreichend erhitztes Fleisch enthalten. In aus Eiern zubereiteten, fetthaltigen Soßen und Cremes fühlen sich Salmonellen besonders wohl. Da – abhängig von der aufgenommenen Bakterienmenge – nur ein kleiner Teil der Infizierten krank wird, bleiben die verseuchten Speisen oft unentdeckt. Obendrein können sich Salmonellen mehrere Monate im Darm festsetzen, so dass ein symptomfreier „Dauerausscheider“ (etwa in einer Großküche) Hunderte Menschen anstecken kann.

Regelmäßige Infektionen durch die heimtückischen Bakterien sind deshalb nicht zu vermeiden. Rund 52 000 Fälle von Salmonellendurchfall werden dem Robert- Koch-Institut jährlich gemeldet; meistens sind Wohnheime, Kindertagesstätten, Großküchen oder Eisdielen betroffen. Größere Ausbrüche in Kliniken sind dagegen selten, weil Krankenhaushygieniker alle Bereiche überwachen und Ärzte die Krankheit schnell erkennen. Der wochenlange Klinikausbruch in Fulda, mit bisher 238 Infizierten und mindestens zwei Toten, ist in Deutschland einmalig.

Vor 23 Jahren fanden die Gesundheitsbehörden in Oregon dagegen sofort die Ursache der Epidemie: In zehn verschiedenen Restaurants waren Salatdressings mit Salmonellen verseucht. Wie sich später herausstellte, hatten Angehörige der Sannyasin-Sekte den Anschlag verübt, um die Kleinstädter an der Abstimmung über ein Verbot ihrer Truppe zu hindern.

Ob die Salmonellen in Fulda absichtlich ins Essen gelangten, wie schon spekuliert wird, darf bezweifelt werden. Wie erst letztes Jahr herauskam, ist in Deutschland fast ein Drittel der großen Geflügelbestände mit Salmonellen infiziert. Das Robert-Koch-Institut warnte erst im Januar vor besonderer Salmonellengefahr und mahnte: „Die Aufklärung von Ausbrüchen erfordert eine besondere Aktivität der beteiligten Ärzte und zuständigen Behörden.“ Daran hat es in Fulda offenbar gemangelt.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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