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Transparenz ist Mode geworden.

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Transparenz: Vorsicht und Durchsicht

Wikileaks liegt brach, die Piraten machen ihre Nebeneinkünfte öffentlich, die SPD will Whistleblower vor ihren Arbeitgebern schützen: Die Debatte um mehr Transparenz ist in der Phase der Ent-Ideologisierung angekommen.

Von Anna Sauerbrey

Auf der Webseite der Enthüllungsplattform Wikileaks steht weiterhin nichts als ein Hilferuf, die Organisation ist pleite und bittet um Spenden. Der Gründer, Julian Assange, sitzt in Großbritannien im Hausarrest und wartet darauf, dass der Supreme Court über seine Auslieferung nach Schweden entscheidet. Und der amerikanische Soldat Bradley Manning, der nach Ansicht der Ankläger in den USA die Plattform mit Diplomatendepeschen und dem grausigen Boardvideo eines Militärhubschraubers versorgt haben soll, wird in Amerika vor ein Militärgericht gestellt und muss eine lebenslange Haftstrafe fürchten. Die Arbeiten am neuen Zeitalter der Transparenz, so könnte man meinen, scheinen etwas ins Stocken zu geraten. Längst ist die anfängliche Euphorie verebbt, und das nicht nur wegen umstrittener Veröffentlichungen.

Radikale Transparenzforderungen erzeugen inzwischen auch ein ganz grundsätzliches Unbehagen. Können transparente Gesellschaften überhaupt liberale Gesellschaften sein? Wie groß ist die Freiheit des Einzelnen, wenn er fürchten muss, dass alles, was er ist oder tut zum Gegenstand öffentlicher Debatten wird, von politischer Einstellung bis zur Steuererklärung? Macht uns das „Leaking“ zu einer Gesellschaft von Blockwarten, die sich ständig gegenseitig kontrolliert? Die Transparenzgesellschaft, schrieb neulich der Philosoph Byung-Chul Han in einem viel beachteten Beitrag für die „Zeit“, sei „die Hölle des Gleichen“. Er warnt, alles Individuelle könne durch den Zwang zur Offenlegung nivelliert werden. An der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus ist zu beobachten, wie schwierig die konkrete Ausgestaltung der Transparenz ist.

In dieser Phase der Ent-Ideologisierung der Transparenzidee bringt die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf ein, der „Whistleblower“ – Hinweisgeber, die Missstände in ihren Unternehmen oder Behörden öffentlich machen – besser schützen soll. Gerade das „Whistleblowing“ zeigt, wie schwierig es im Einzelnen sein kann, Transparenzforderungen umzusetzen. Hier kollidiert das Arbeitsrecht, dass das berechtige Interesse eines Arbeitgebers an der Loyalität seiner Mitarbeiter schützt, mit dem Interesse der Allgemeinheit, von Unregelmäßigkeiten zu erfahren.

Der Gesetzentwurf der SPD zeigt, dass es dennoch nicht unmöglich ist, „Whistleblower“ im Sinne der Transparenz zu stärken, ohne berechtigte entgegenstehende Interessen zu beschädigen. Der Entwurf ist ausgewogen. Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter aufgrund von berechtigten Hinweisen entlassen, könnten mit Strafgeldern belegt werden. Aber auch Arbeitnehmer können belangt werden, wenn sie fahrlässig handeln.

Das Gesetz wäre, ebenso wie das Vorgehen der Piraten im Abgeordnetenhaus, ein weiterer Schritt hin zu einer Konkretisierung des Mythos Transparenz, ein Schritt zur umsichtigen Umsetzung jenseits blinder Euphorie. Allerdings, so die Erwartung der SPD nach Sondierungen im Koalitionslager, wird sie damit wohl am Widerstand von FDP und Union scheitern.

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