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Meinung: Treitschke ist unser Unglück

Der Antisemit darf nicht länger Namenspatron einer Berliner Straße sein Von Wolfgang Wippermann

Im Jahr 1862 hat Heinrich von Treitschke die „schonungslosen Rassenkämpfe“ gelobt, die der Deutsche Orden gegen das „Slawenthum“ angeblich geführt haben soll. 1879 wandte er sich gegen das „Semitenthum“ und warnte vor einem „Zeitalter deutsch-jüdischer Mischcultur“, das die „Jahrtausende germanischer Gesittung“ verdrängen werde, wenn man sich nicht gegen dies „fremde Volksthum“ wende, das über „unsere Ostgrenze“ dränge.

Heinrich von Treitschke war ohne Zweifel Rassist und Antisemit, und nach einem Antisemiten und Rassisten sollte man keine Straße benennen, wie dies in Steglitz immer noch der Fall ist. Martin Sabrow sieht dies anders und hat in dieser Zeitung (Tagesspiegel vom 23.3.07) ein Plädoyer für Treitschke und die Treitschkestraße gehalten. Dies jedoch mit angreifbaren und falschen Argumenten.

Eindeutig falsch ist, dass Treitschkes „Antisemitismus nicht rassisch geprägt“ gewesen sei. Ebenso angreifbar ist die Behauptung, dass Treitschke ja nur von „den nach Deutschland strömenden Einwanderern aus Ost- und Südosteuropa“ gefordert habe, „sich den Sitten und Gedanken ihrer christlichen Mitbürger“ anzunähern. Es kann keine Rede davon sein, dass die von Treitschke als „hosenverkaufende Jünglinge“ verhöhnten Juden in Massen nach Deutschland geströmt seien.

Die tatsächliche Zahl der eingewanderten, aber wegen des schon damals in Preußen herrschenden Blutrechts (ius sanguinis) nicht eingebürgerten Juden aus dem Osten betrug maximal 70 000. Das waren 0,01 Prozent der Gesamtbevölkerung. Außerdem zeigten sich die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts verächtlich so bezeichneten „Ostjuden“ als anpassungsfähig. Allerdings blieben sie Juden und näherten sich in dieser Hinsicht nicht ihren „christlichen Mitbürgern“ an.

Dennoch war gerade die von Treitschke nicht initiierte, aber radikalisierte rassistische Hetze gegen die „Ostjuden“ erfolgreich. Schon 1885/86 wurden 10 000 polnische Juden aus Preußen ausgewiesen. 1921 waren „Ostjuden“ die ersten Insassen der ersten deutschen Konzentrationslager in Cottbus und Stargard in Pommern. 1938 wurden fast alle von ihnen über die Grenze nach Polen vertrieben. Drei Jahre vorher, 1935, wurde durch den Erlass der Nürnberger Gesetze Treitschkes zweite Forderung – die Rückgängigmachung der Emanzipation – verwirklicht. Die deutschen Juden wurden zu dem gemacht, was sie nach Treitschkes Meinung immer waren: Angehörige eines „fremden Volksthums“, das sich nicht mit dem deutschen „verschmelzen“ sollte.

Dafür ist der 1896 gestorbene Treitschke nicht persönlich verantwortlich zu machen; jedoch für das, was man Eliten-Antisemitismus nennen könnte. Treitschkes Polemik gegen die „hosenverkaufenden Jünglinge“ und die übrigen deutschen Juden, denen er ihr Deutschsein in geradezu gehässiger Weise absprach, hat „ den Judenhass in Deutschland salonfähig“ (Sabrow) gemacht. Antisemitismus und Rassismus dürfen nicht „salonfähig“, gerechtfertigt und akzeptiert werden. Das schlechteste Signal ist daher die Benennung einer Straße nach einem Antisemiten und Rassisten.

Die Steglitzer Treitschkestraße muss endlich – man diskutiert darüber seit nunmehr über zehn Jahren – umbenannt werden. Warum nicht nach dem Historiker Heinrich Graetz (1817–1891), den Treitschke in seinem antisemitischen Hetzaufsatz als einzigen Juden namentlich erwähnt und wüst beschimpft hat. Mit einer Heinrich-Graetz-Straße würden wir einen deutschen Juden ehren und uns von einem deutschen Antisemiten distanzieren.

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.

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