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Meinung: Trialog: Grenzen, die Freiheit erst ermöglichen

Ich teile mit Wolfgang Schäuble die Abneigung gegen hysterische Formeln, mit denen politische Entscheidungen erzwungen werden sollen. Diese Abneigung wächst bei mir, je mehr sich politische Prozesse beschleunigen und zu Kampagnen werden, die schnelle, schrille Reaktionen von der Politik abfordern.

Ich teile mit Wolfgang Schäuble die Abneigung gegen hysterische Formeln, mit denen politische Entscheidungen erzwungen werden sollen. Diese Abneigung wächst bei mir, je mehr sich politische Prozesse beschleunigen und zu Kampagnen werden, die schnelle, schrille Reaktionen von der Politik abfordern. Trotzdem gehen wir in den Schlussfolgerungen aus dieser Grundhaltung der Gelassenheit gelegentlich auseinander. Er möchte entschlossener vorangehen, weil apokalyptische Ängste sich in der Regel nicht erfüllen. Ich empfehle, länger zu diskutieren und allzu hitzigen Lösungsvorschlägen zu misstrauen, weil sie mehr versprechen, als sie halten können. Beispiel Stammzellendebatte: Wolfgang Schäuble war auf der Seite der Befürworter, weil die Neugier des menschlichen Forschergeistes unablösbarer Bestandteil menschlicher Existenz und menschlicher Würde sei. Ich gehörte zu den Gegnern, weil ich die Heilsversprechen der Forschung in diesem Bereich für praxisfern und letztendlich unaufgeklärt halte. Solange wir keine schlüssige Antwort auf die Frage bekommen, welches qualitative Mehr uns die Forschung an embryonalen Stammzellen gegenüber adulten Stammzellen bringt, haben wir noch jede Freiheit, Nein zu sagen.

Nun sagt Wolfgang Schäuble: Wir müssen darauf achten, dass aus der Begrenztheit unserer (nationalen) Sicht nicht Überheblichkeit wird. In anderen europäischen Ländern werde auch über diese Frage diskutiert, und sie könnten nicht alle Unrecht haben. Der Bundeskanzler hat in der Debatte noch schärfer und wieder einmal vor dem drohenden "deutschen Sonderweg" gewarnt. Das reizt zum Widerspruch, weil die Warnung vor deutscher Überheblichkeit und deutschem Sonderweg inzwischen zu einer billigen, polemischen Formel zu werden droht. Sie kommt aus jener Phase in der deutschen Nachkriegsentwicklung, wo über die unwiderrufliche Eingliederung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem diskutiert wurde. Damals gab es in Teilen der SPD, aber auch der CDU Tendenzen, eine neutrale Position für die junge Republik zu erwägen, um die Spaltung des Landes nicht zu vertiefen und die Wiedervereinigung zu Zeiten des Eisernen Vorhanges zu erleichtern. Vor dem "deutschen Sonderweg" zu warnen hatte damals das Ziel, für die Partner der freien Welt berechenbar zu bleiben.

Diese Formel auf heutige Fragen beliebig anzuwenden, erscheint mir als ein Versuch, das Denken in Alternativen zu unterbinden. Beispiel Forschung: Es gibt heute gar keine nationale Forschungslandschaft mehr. Es gibt nur eine weltweite. In dieser globalisierten Sphäre der Wissenschaft gibt es immer Forscher, die schneller, radikaler vorgehen als andere und dafür auch Unterstützung in ihren nationalen Regierungen finden. Im Interesse weltweiter Forschungsfreiheit kann es aber sehr sinnvoll und berechtigt sein, gegenzusteuern - auch mit rechtlichen Mitteln. Und zwar nicht im Interesse von Fundamentalismus oder Isolation, sondern im Interesse der Freiheit: Auch Forscher müssen wählen können. Wenn weltweit alle Förderung in die Entwicklung embryonaler Stammzellen geht, wird die Forschung zu adulten Stammzellen verkümmern.

In der deutschen Forschungsgeschichte haben wir gute Erfahrungen gemacht mit Debatten um Begrenzungen. Wir haben etwa in der Atomenergie Forscher früher gezwungen, in Alternativen zu denken, wir haben früher die Förderung alternativer Energieformen betrieben. Ein Vorteil, der uns heute zu Gute kommt - und den Ausstieg überhaupt noch möglich macht. Wer über Grenzen redet, kann auch Freiheit meinen.

Antje Vollmer ist Vizepräsidentin des B, est

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