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Meinung: Tschechen-Super und Franzosen-Diesel

Was längere Pausen zwischen den Spielen im Fußball wert sind

Alexander S. Kekulé So viel Außenseiterglück bei der EM lässt Fans und Fachleute stutzig werden: Hatten die Favoriten etwa zu wenig Zeit, um sich zwischen den Spielen zu erholen? Steckte dem englischen „Löwen“Star Beckham noch die Lauferei vom Montag in den Knochen, als er am Donnerstag den wichtigsten Elfmeter seiner Laufbahn versiebte? War Griechenland gegen den Favoriten Frankreich im Vorteil, weil das Rehhagel-Team einen Tag länger zum Erholen hatte? War es womöglich nicht mangelnder Respekt, sondern eine besonders raffinierte List, dass der weise Tschechen-Häuptling Brückner seine prächtig ausgeruhten Reservisten gegen die ermüdeten Germanen ins Feld schickte?

Die Sportmedizin gibt jedoch wenig her, um solche Erklärungen für das Desaster des europäischen Millionärsfußballs zu belegen. Im Gegensatz zu Ausdauersportarten wie Radfahren oder Marathon bringen beim Fußball ein oder zwei Tage längere Erholungsphasen keinen messbaren Vorteil – sofern die im Spielplan ohnehin vorgesehenen Mindestpausen von drei Tagen eingehalten werden.

Feldspieler laufen typischerweise in einem mittleren Leistungsbereich und müssen kurzzeitig – etwa bei einem Ballduell –  körperliche Höchstleistungen erbringen. In diesen Momenten braucht die Muskulatur ihre „energiereichen Phosphate“ (ATP, Kreatinphosphat) auf, die wie eine Notstrombatterie sofort große Energiemengen zur Verfügung stellen. Allerdings reicht deren Kapazität nur etwa zehn Sekunden: Nach einem Kopfballsprung, Sprintduell oder Elfmeter muss die Muskulatur sofort den Generator anwerfen – das heißt: aus Nährstoffen weitere energiereiche Phosphate erzeugen. Als hochwertiger Treibstoff steht dafür Traubenzucker (Glukose) zur Verfügung, der als „Glykogen“ direkt in den Muskelzellen eingelagert ist. Wenn dieser Super-Kraftstoff aufgebraucht ist, muss der Organismus seine Fett- und Eiweißvorräte angreifen und die Energiestoffe mühsam über das Blut heranschaffen, wobei der Blutzucker deutlich absinkt. Die damit verbundene Leistungsminderung – bei Marathonläufern als „Hungerast“ berüchtigt – fühlt sich an, als hätte jemand von Superbenzin auf Lkw-Diesel umgeschaltet.

Beim Fußball kommt es jedoch nicht so weit: Der Glykogen-Vorrat des Trainierten reicht bei intensiver Dauerbelastung ziemlich genau für 90 Minuten. Sofern ein Spieler nicht zwei Halbzeiten lang durchgehend Vollgas gibt, sind also auch noch Verlängerung und Elfmeterschießen drin.

Im Gegensatz zu den Fett- und Eiweißdepots, deren Regenerierung unter Umständen Monate dauert, können die Glykogenspeicher durch kohlenhydratreiche Ernährung innerhalb von drei Tagen vollständig aufgefüllt werden. Längere Pausen bis zum nächsten Spiel bringen also nichts. Leichtes Training regeneriert den Körper sogar besser als Faulenzen, weil die Muskeldurchblutung das Auffüllen der Energiespeicher und den Abtransport von Milchsäure und anderen Stoffwechselschlacken fördert: Wer rastet, der rostet.

Bleibt die Frage, wie die tschechischen Spieler am Sonntag Dänemark vom Platz fegen konnten, obwohl sich die meisten von ihnen ganze acht Tage lang ausgeruht hatten? Offenbar kennt der Fußballgott doch noch Geheimnisse, von denen die Medizin nichts weiß.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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