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Meinung: Tschüss Deutschland

Auswanderung: Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften vertreiben viele Leistungsträger

Noch nie seit 1950 sind so viele Deutsche ausgewandert wie im vergangenen Jahr. Und wie üblich schieben sich nun Politik und Wirtschaft gegenseitig die Schuld dafür zu, dass vor allem junge Leistungsträger dem Land den Rücken kehren. Dabei haben Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften jahrelang gemeinsam an jenem Pakt gegen die Jugend geschmiedet, der viele nun zum Auswandern treibt – weil sie die Folgen des demografischen Wandels und des schärfer werdenden Kostendrucks in der Wirtschaft einseitig auf die Schultern der Jungen verlagerten. Die haben wegen des immer größer werdenden Übergewichts älterer Generationen ohnehin immer weniger zu sagen – und stimmen mit den Füßen ab. 145 000 allein 2005.

Es ist ein Problem, das die EU als Ganzes und nicht nur Deutschland betrifft. Auf der einen Seite wissen die Jungen, dass sie in den kommenden Jahrzehnten immer höhere Abgaben leisten müssen, insbesondere in die Rentensysteme, ohne darauf hoffen zu können, im Alter entsprechende Leistungen zurückzubekommen. Gleichzeitig können aber die wenigsten privat vorsorgen. Viele bekommen nicht mal einen Job, weil Unternehmen oft nicht mehr bereit sind, die Risiken einer unbefristeten Festeinstellung einzugehen. Die hohen Hürden des Arbeitsmarktes schützen diejenigen, die drin sind, auf Kosten derjenigen, die reinwollen – dazu gehören neben den Jungen auch die in der älteren Generation, die arbeitslos geworden sind.

Selbst die wohl bestausgebildete Akademikergeneration, die Deutschland je hatte, hangelt sich von Praktikum zu Praktikum, von befristeter Stelle zu Projektauftrag. Und wenn man einen festen Job bekommt, ist der meist schlechter bezahlt, als es noch eine Generation zuvor üblich war. Eine Zweiklassengesellschaft, die an den Universitäten besonders krass ausgeprägt ist. Die Juniorprofessur sollte einst den Einstieg in eine Wissenschaftskarriere erleichtern. Tatsächlich wird heute auch fast jeder reguläre junge Professor mit einem niedrigeren Gehalt eingestellt als einer, der wenige Jahre vor ihm anfing. Und er hat gute Chancen, ein Leben lang schlechter bezahlt zu werden.

Die forcierte Globalisierung und die Alterung der Gesellschaft führen dazu, dass Wirtschaft und Sozialstaat die Privilegien derjenigen nicht mehr bezahlen können, die in den goldenen Jahren ins System eingestiegen sind. Nun verschlanken sich beide auf Kosten der Jüngeren, weil es der Gesellschaft am Mut fehlt, Rechte und Pflichten gleichmäßiger zwischen den Generationen zu verteilen. Wenn am Ende aber viele junge Leistungsträger gehen, weil sie keine Aufstiegschancen sehen, verlieren Sozialstaat und Wirtschaft gleichermaßen. Keinem Land kann es gleichgültig sein, wenn sich gerade die Flexiblen und Unternehmungslustigen verabschieden.

Globalisierung bedeutet eben auch: Jede Gesellschaft steht im Wettbewerb um die intelligentesten Köpfe und leistungsbereitesten Bürger. Verliert Deutschland dieses Rennen, kann es sich seinen Sozialstaat in Zukunft noch viel weniger leisten.

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