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Meinung: Über den Rhein geschwappt

Seit Schröders Schlappe haben Frankreichs Verfassungsgegner erst recht Oberwasser

In Toulouse, wo der europäische Luftfahrtkonzern Airbus zu Hause ist, unternimmt Kanzler Gerhard Schröder heute einen letzten Versuch, die Franzosen von einem „Nein“ zur EU-Verfassung abzubringen. Europäische Symbolik auch in Berlin: Wenn der Bundesrat heute die Verfassung ratifiziert, ist auch Valéry Giscard d’Estaing dabei, der Vater des Vertragswerks. Ob aber der Freundschaftsdienst aus Deutschland bis zum Sonntag etwas an der Stimmung in Frankreich ändert? Das „Nein“ zur Verfassung hält sich so hartnäckig in den Umfragen, dass die Märkte inzwischen mit einer Ablehnung der Franzosen rechnen.

Ja, die Märkte. Weil die Verfassung scheitern könnte, hat der Euro schon einen kleinen Schwächeanfall erlitten. Derartige Meldungen dürften viele Franzosen in ihrer Auffassung noch bestätigen, dass es bei Europa zunächst um das Wohl der Unternehmen geht und erst in zweiter Linie um das der Menschen. Egal wie das Referendum am Sonntag ausgeht: Fest steht jetzt schon, dass Frankreichs Politiker in den letzten Monaten zu wenig getan haben, um dieses Vorurteil aus der Welt zu schaffen.

Die Verfassungsbefürworter haben drei Dinge unterschätzt: Erstens den Willen der Franzosen, sich mit den Details der Verfassung zu beschäftigen – und als Ausdruck eines „neoliberalen“ Europas zu interpretieren. Zweitens die Entschlossenheit, Präsident Jacques Chirac und seinem unpopulären Premier Jean-Pierre Raffarin einen Denkzettel zu geben. Der dritte Punkt ist schließlich der fatalste: Einem großen Teil der Franzosen ist es schlicht egal, dass die EU ins Chaos stürzen würde, sollte die Verfassung in ihrem Land scheitern.

Gegen diese Anti-Haltung sind die meisten Politiker nur halbherzig vorgegangen. Zu ihnen gehört vor allem Chiracs Gegenspieler Nicolas Sarkozy. Der ehemalige Wirtschaftsminister will den Präsidenten in zwei Jahren im Elysée-Palast beerben – und am kommenden Montag, wenn die Referendums-Schlacht geschlagen ist, in keinem Fall auf der falschen Seite stehen. Mit seinem doppeldeutigen Plädoyer – Ja zur Verfassung, Nein zur Türkei – hat er schon einmal vorgebaut. Aber auch Chirac hat den Franzosen nicht eindeutig vermitteln können, warum sie ohne die EU eigentlich nicht mehr zukunftsfähig sind.

Sicher: Der Konkurrenzkampf, der sich im bürgerlichen Lager zwischen Chirac und Sarkozy abspielt, hat den EU-Gegnern in die Hände gespielt. Sollten sie am Sonntagabend aber tatsächlich in der Mehrheit sein, wird man die Ursache woanders suchen müssen – bei den Verfassungsgegnern im linken Lager, die den Streit um das Vertragswerk zur Generalabrechnung mit der Sozialpolitik der Regierung missbraucht haben. Seit einer Woche haben sie noch ein Argument mehr: Die desaströse Wahlniederlage von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen dient als Beleg dafür, dass auch auf der anderen Seite des Rheins die Menschen mit dem europäischen Binnenmarkt zunehmend Probleme haben.

Ein Alarmsignal geht tatsächlich von Nordrhein-Westfalen und von Frankreich aus: Auf der Linken sind viele Wähler nicht gewillt, zwischen den Zumutungen der Globalisierung und den Zukunftschancen der EU zu unterscheiden. Sie wenden sich ab. In Deutschland von der SPD. Und in Frankreich von der EU-Verfassung.

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