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Uiguren: Ohne Zukunft in China

Chinas kolonialistisch anmutende Minderheitenpolitik radikalisiert beide Seiten. Einerseits die Uiguren, die sich zu Recht unterdrückt fühlen und keine Zukunft für ihr Volk mehr in China sehen. Andererseits die Han-Chinesen, die wiederum die Uiguren als Bedrohung für die Einheit Chinas sehen.

Schon bei den Olympischen Spielen in Peking hat es nicht geklappt. Bei der Eröffnungsfeier sollten 56 kostümierte Kinder als Fahnenträger die Einheit der 56 ethnischen Gruppen Chinas symbolisieren. Anschließend stellte sich heraus, dass die Kinder gar nicht aus den einzelnen Volksgruppen stammten, sondern allesamt Han-Chinesen waren, die mit 92 Prozent dominierende Volksgruppe Chinas. Die harmonische Gesellschaft, die Peking unter Staatschef Hu Jintao als politisches Ziel propagiert, ist offenbar nur ein Schauspiel für die Welt.

Das beweisen nun auch die Unruhen in Urumqi. Ausschreitungen zwischen den muslimischen Uiguren und den atheistischen Han-Chinesen haben mindestens 156 Tote gefordert, Exiluiguren sprechen sogar von bis zu 800 Toten. Am Mittwoch hielten die Auseinandersetzungen an. So schwerwiegend sind die Spannungen in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang, dass Staatschef Hu Jintao sogar seine Teilnahme am G-8-Gipfel in Italien abgesagt hat.

Er weiß, dass diese Probleme nicht nur eine einzelne Provinz bedrohen. Vielmehr wäre die Einheit Chinas gefährdet, wenn sich die Unruhen in anderen Provinzen fortsetzen sollten. Nur so erklären sich die harten Maßnahmen, die China auch schon 2008 nach den Unruhen in Tibet ergriff: Riesige Polizei- und Militäraufmärsche, Massenverhaftungen, intransparente Gerichtsprozesse. Auch diesmal zeigt das staatlich kontrollierte chinesische Fernsehen nur Han-chinesische Opfer der Ausschreitungen. Von uigurischen Toten, von ihrer Verzweiflung ob religiöser, kultureller und wirtschaftlicher Diskrimierung, vom massenhaften Zuzug der Han-Chinesen in ihre Heimat ist keine Rede.

Das könnte sich rächen: Chinas kolonialistisch anmutende Minderheitenpolitik radikalisiert beide Seiten. Einerseits die Uiguren, die sich zu Recht unterdrückt fühlen und keine Zukunft für ihr Volk mehr in China sehen. Sie könnten künftig auf noch gewaltsamerem, vielleicht sogar terroristischem Wege ein separates Ostturkistan anstreben. Andererseits die Han-Chinesen, die wiederum den Unmut der Uiguren nicht verstehen und sie als Bedrohung für die Einheit Chinas sehen. Dass auch ihre Regierung eine Mitschuld an den Ereignissen trägt, sehen sie nicht.

Die Spannungen machen China instabiler. Richtig gefährlich für Chinas Machthaber wird es, wenn künftig auch noch eine wachsende Unzufriedenheit in der chinesischen Bevölkerung dazukommt. Nach dem Wegfall der kommunistischen Ideologie gründet sich die Idee der Alleinherrschaft der kommunistischen Partei auf wirtschaftlicher Stärke und wachsendem Nationalismus. Nur eine starke Partei kann das riesige Reich zusammenhalten, heißt es in China. Der Zuspruch der Bevölkerung dafür ist zurzeit groß – solange es wirtschaftlich aufwärts geht. Zuletzt aber schrumpfte das Wachstum auf den niedrigsten Wert seit 1990. 20 Millionen Wanderarbeiter sind nach Hause zurückgekehrt, weil sie in der Wirtschaftskrise keine Arbeit mehr finden. Jährlich rund 80 000 Massenvorfälle – so nennt die chinesische Regierung Demonstrationen – zeugen von wachsender Unzufriedenheit. Und auch die wirtschaftlichen Unterschiede, Stadtbewohner verdienen mehr als dreimal so viel wie Landbewohner, bergen Spannungen.

Die Unruhen in Xinjiang zeigen daher, dass die Volksrepublik China im 60. Jahr ihres Bestehens vor einer schwierigen Zukunft steht. Weitere 60 Jahre wird sie in dieser Form wohl nicht mehr schaffen.

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