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Wie lange muss Gustl Mollath noch in der Psychiatrie bleiben?

© dpa

Umstrittener Justiz-Fall in Bayern: Gustl Mollath - im Zweifel für die Freiheit

Seit Jahren sitzt Gustl Mollath gegen seinen Willen in der Psychiatrie. Nun entschied ein Gericht, dass das Verfahren nicht wieder aufgenommen wird. Dabei wäre eine Freilassung angebracht, meint Jost Müller-Neuhof.

Sieben Jahre nach seinem Urteil, das damals niemand beachten wollte, hat der Fall des Psychiatriepatienten Gustl Mollath Eintritt in die höheren gesellschaftlich-politischen Bedeutungsränge gefunden. Die Protagonisten der bayerischen Landtagswahl zwingt er zur Positionierung, eine Bundesministerin erwägt Reformen, es gibt einen Untersuchungsausschuss, Unterstützerkomitees und Soliveranstaltungen. Nun entlädt sich einiger Druck in der Empörung über das Landgericht Regensburg, das sich einer Wiederaufnahme des für Mollath verhängnisvoll verlaufenen Strafverfahrens verweigert hat. Doch nur so, meint Bayerns Justizministerin Merk, könnten die Zweifel an der Zwangseinweisung geklärt werden, und SPD-Spitzenkandidat Christian Ude überbietet sie noch mit dem Zitat, er sei „bestürzt“ über die Richter, weil „das Rechtsempfinden“ zutiefst verletzt werde.

Gustl Mollath - Die Hürden für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sind hoch

Die Lektüre des umfänglichen Beschlusses kann diesen Eindruck nicht bestätigen, jedenfalls dann nicht, wenn „das Rechtsempfinden“ mehr sein soll als die Akklamation eines Wahlkämpfers. Der Beschluss befasst sich akribisch mit den prozessualen Hürden für eine Neuauflage und dem durch den Mollath-Verteidiger dafür Aufgebotenen. Die Hürden sind hoch, weil Rechtssicherheit durch ein rechtskräftiges Urteil ein Wert ist, der um seiner selbst willen verteidigt gehört. Es wäre falsch, dies mit beschränktem Lern- oder Korrekturwillen der Justiz gleichzusetzen. Für die Überprüfung von Urteilen gibt es – insgesamt ausreichende – Formen, die Wiederaufnahme ist der „Last Exit“ für den Rechtsstaat, wenn Richter ihr Amt missachtet haben oder neue Beweise aufgetaucht sind.

Trotzdem, ein anderes Ergebnis wäre wünschenswert und nach Lage der Dinge begründbar gewesen. Mithin ist etwas dran, wenn den Richtern nun nachgesagt wird, sie stellten trotzig-trutzburghaft ihren Formalismus über die zumindest vielfach behauptete Notwendigkeit, die Schuld Mollaths erneut zu verhandeln. Es ist allerdings bei aller Sympathie für die Mollath-Sympathisanten so, dass eine solche Notwendigkeit nicht erkennbar ist. Wer Mollath helfen möchte, sollte nicht die Schuld-, sondern die Freiheitsfrage in den Blick nehmen. Hier erscheint es unabhängig von skeptischen Gutachten und der angeblichen Renitenz des Insassen angezeigt, eine Freilassung zu erproben. Gerichten und Gutachtern fehlt bisher der Mut dazu, veranlasst nicht zuletzt durch das herrschende Sicherheitsparadigma, menschliche Risiken auszuschalten, auch wenn ein Einzelner dadurch dauerhaft seine Freiheit verliert.

Doch freigelassen wird Mollath wohl, wenn nicht vor, dann nach der bayerischen Landtagswahl. Sein Fall kann bisher weder als Beleg für schreiendes Justizunrecht herhalten, noch gibt er dringenden Anlass für Reformen; eher wirft er ein Schlaglicht auf unsere wechselnden Empathien, unsere Bereitschaft zur Konfrontation und Parteinahme, zur durchaus aggressiven Artikulation von Empörung, Ressentiment und schnellem (Vor-)Urteil. Dabei geht es hier nicht um große Politik oder die Gesellschaft oder um Wohl und Wehe der Justiz. Es geht um ein Schicksal, hoffentlich ein einzelnes.

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