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Eine Demonstrantin für den Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski zeigt das Victory-Zeichen aus einem Polizei-Bus vor dem Gerichtsgebäude in Moskau.

© Reuters

Umstrittenes Urteil: Chodorkowski-Prozess: Der Gegner des Paten

Chodorkowskis Prozess ist ein Schauprozess nach innen. Wer nicht mit den Wölfen heult, so die Botschaft, heult bald gar nicht mehr. Putins starker Staat entscheidet darüber, wer Geld hat und es genießen darf.

Dass der Prozess gegen Michail Chodorkowski in rechtsstaatlicher Weise durchgeführt wurde, kann man getrost vergessen. Dass Michail Chodorkowski sein Milliardenvermögen in rechtsstaatlicher Weise erworben hat, allerdings ebenfalls. Das Jahrzehnt des Wilden Ostens, da in Russland gigantische Vermögen scheinbar aus dem Nichts entstanden, das in Wirklichkeit der Rohstoffreichtum des Landes ist, dieses Jahrzehnt ist vorbei. Wer es damals, in den 90er Jahren unter Boris Jelzin, mit dem Enrichessez-vous des postsowjetischen Russland geschafft hat wie einst im Reich des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe, ist fein raus. Nur nicht, wenn er sich mit dem Paten aller Paten anlegt, mit Wladimir Putin. Oder auch nur angelegt zu haben scheint.

Das ist das Problem des Michail Chodorkowski und zugleich die Botschaft, die der Kreml aussendet. Niemand darf seines Reichtums sicher sein, das hat gerade erst der Moskauer Bürgermeister Luschkow erfahren, dessen Ehefrau mithilfe der Förderung ihres allgewaltigen Mannes ein Milliardenvermögen als Baukonzernbesitzerin anhäufen durfte. Aber mittlerweile ist der Mann gefeuert und die Dame sieht sich Nachfragen zur Herkunft ihres Vermögens ausgesetzt.

Russland ist kein Rechtsstaat. Wer je auf einem x-beliebigen Platz Moskaus von der allgegenwärtigen Miliz angehalten worden ist, um womöglich wegen eines nicht vorgewiesenen Passes zu einer Geldstrafe verdonnert zu werden, wird dies leidvoll bestätigen können. Allerdings hat die Willfährigkeit der russischen Justiz, des gesamten Staatsapparats ein Ausmaß erreicht, das es zumal für ausländische Interessenten und Investoren unmöglich macht, Fuß zu fassen. Noch zählt Russland zu den „Bric“-Staaten – den für Anleger interessanten Ländern Brasilien, Russland, Indien, China. Das Kapital interessiert sich nicht für Rechtsstaatlichkeit, sondern für Profit. Aber was, wenn nicht einmal der gewährleistet ist?

Chodorkowskis Prozess ist ein Schauprozess nach innen. Wer nicht mit den Wölfen heult, so die Botschaft, heult bald gar nicht mehr. Putins starker Staat entscheidet darüber, wer Geld hat und es genießen darf. Politische Opposition ist tödlich, erst fürs Vermögen, bald vielleicht auch fürs nackte Leben. Was unter Stalin die bitter-blutige Regel war, ist unter Putin nicht vergessen. In Fernseh- und Kinofilmen wird diese Zeit beständig in Erinnerung gerufen, als eine tragische, doch auch heroische Zeit. Im Sieg über Hitler-Deutschland findet sie ihren Höhepunkt und ihre Rechtfertigung – auch für allen Terror.

Mit diesem Maß muss messen, wer Putins Russland beurteilen will. Die Zerstörung der Gesellschaft, die das Land unter Stalin erlebt und erlitten hat, ist nicht behoben. Russland hat sich nie dem Westen geöffnet, nicht einmal in jenen zwei oder drei Jahrhunderten, da Petersburg das vorgeschobene „Fenster zum Westen“ war. Es war eben nur und nicht mehr als ein Fenster. Das Haus selbst verblieb tief in Russland, in Moskau, in den orthodoxen Städten ringsum. Dort, wo das Wort des Zaren unmittelbares Gesetz ist, ob es von Nikolaus II. kommt oder vom KGB-Agenten Putin. Michail Chodorkowski wird wegen Vergehen angeklagt und verurteilt, die im heutigen Russland allgegenwärtig sind, ja, die die Substanz dieses Staatswesens ausmachen. Sein Verbrechen ist es, gegen den Herrscher gewesen zu sein. Die anderen Neureichen werden diese Botschaft verstehen. Und noch eine Botschaft: Russland bleibt von Europa weiterhin Lichtjahre entfernt. Wir müssen uns darauf einstellen.

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