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Meinung: Und wieder droht der Blockwart

Die Nicht-Anzeige von Kindesmissbrauch soll unter Strafe gestellt werden / Von Gerhard Mauz

RECHTSWEGE

Dass jemand, der ein Kind via Internet zum sexuellen Missbrauch anbietet, mit einer Gefängnisstrafe rechnen soll, bedarf keiner Diskussion.

Doch nun sind, wie der „Spiegel“ meldet, „schwere Gewissenskonflikte“ ausgebrochen, was den Kindesmissbrauch angeht. Kinderschützer machen Front gegen den Plan von RotGrün, die Nichtanzeige von Kindesmissbrauch mit bis zu fünf Jahren zu bestafen. Es sind keine beiläufigen Adressen, die protestieren, sondern höchst kompetente.

Statt die Dunkelziffer zu senken, werde die Neuregelung „genau das Gegenteil erreichen“, warnen die Hilfseinrichtungen in einer Stellungnahme für den Rechtsausschuss des Bundestages. Täter würden „den Geheimhaltungsdruck auf das Kind noch verstärken“. Nach Ansicht der Kinderschützer drohen „schwere Gewissens- und Loyalitätskonflikte“ allen Vertrauenspersonen, denen sich ein missbrauchtes Kind unter dem Siegel der Verschwiegenheit offenbart. Kritik kommt auch vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuf). „Eine Anzeigepflicht ist gut gemeint, wird aber die Lage der Kinder nicht verbessern, sondern verschlechtern“, erklärt Thomas Meysen vom DIJuf. „Die Polizei sucht den Täter, kann damit aber ungewollt den Hilfezugang zu den Opfern blockieren.“

Ähnlich argumentiert auch der Deutsche Kinderschutzbund. Es wird darüber diskutiert, doch leider sind Sachverständige aus der Kinder- und Jugendhilfe nicht geladen.

Strafbar soll sich künftig machen, wer von Fällen sexuellen Missbrauchs Kenntnis erlangt, aber keine Anzeige erstattet – dies ist der heikle Punkt des Gesetzesentwurfs. Es soll das „Wegsehen“ erschwert werden. Mit ihm zieht der Blockwart der NS-Zeit wieder ein. Denn wie erlangt man Kenntnis von sexuellem Missbrauch, wenn nicht durch rigorose Überwachung der Nachbarn? Hier wird Denunziation zur Pflicht, die sich – ja, auf was stützen kann?

In der Tat: gut gemeint, aber mehr auch nicht. Wer Nachbarschaftsauseinandersetzungen vor Gericht erlebt hat, verbirgt sein Haupt. Was da nicht alles ohne Federlesen vorgebracht wird.

Wie sind wir doch für die Kinder da! Es geht nichts über unseren Einsatz für Kinder. Wie es einem erging, als man selbst noch ein Kind war – weg damit, wir machen es besser.

Der Protest gegen die geplante Neuregelung muss sehr ernst genommen weren. Er entspringt nicht einfach dem Bedürfnis zu widersprechen, um anzuzeigen, dass es einen noch gibt.

Es droht wirklich, dass die Situation verschlechtert statt verbessert wird. Wirklich: Erinnern wir uns daran, wie es uns erging, als wir selber Kinder waren.

Der Autor schreibt für den „Spiegel“ und war lange Gerichtsreporter. Foto: Dirk Reinartz

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