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Meinung: Unvernunft lässt grüßen

Von Gerd Appenzeller

Man traut Augen und Ohren nicht. Der Kompromiss, den die Tarifparteien des öffentlichen Dienstes in Hamburg erzielt haben, liest sich und hört sich an wie ein Gruß aus den so genannten guten, alten Zeiten. Jenen Zeiten, in denen die Bundesrepublik eine Insel des Wohlstands mit sprudelnden Steuerquellen und der unbändigen Sehnsucht nach einer sozialen und gerechten Gesellschaft war. Im Hamburger öffentlichen Dienst werden künftig die schlechter Bezahlten weniger lange arbeiten als jene, die besser verdienen. Den Jungen werden mehr Stunden abgefordert als den Alten, und wer kleine Kinder hat, darf früher heimgehen als der kinderlose Kollege.

Das alles klingt wunderbar – aber es ist so weltfern, dass man sich fragt, was den Verhandlungsführern im Kopf herumgegangen ist, als sie sich auf diese Lösung verständigten. Sie ist so überhaupt nur noch im geschützten Bereich des öffentlichen Dienstes möglich. In der freien Wirtschaft Vergleichbares durchzusetzen, würde keine Gewerkschaft wagen. Außer Verdi weiß nämlich inzwischen jede Arbeitnehmervertretung, wie kontraproduktiv vermeintliche Schutzklauseln für bestimmte Gruppen sind. Wenn Ältere für weniger Arbeit künftig gleich viel Geld bekämen wie Jüngere, die länger arbeiten, haben sie noch weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wenn der Staat Kinderreichtum honorieren will, muss er das über die Steuergesetzgebung tun. Tarifverträge taugen dazu nicht, sonst werden Kinderlose bei der Stellenvergabe bevorzugt. Und wenn schlecht Bezahlte, die oft geringer qualifiziert sind, einen Arbeitszeitbonus bekommen, werden ihre Stellen noch schneller wegrationalisiert. Der Hamburg-Kompromiss ist, klar gesagt, nicht faul. Er ist oberfaul.

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