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Das Unwort des Jahres wird bei einer Pressekonferenz auf ein Tablet geschrieben.

© dpa

Unwort des Jahres: Mit „Klimahysterie“ hat die Jury einen Volltreffer gelandet

Die Auswahl ist gelungen, denn das Wort ist entlarvend: Es steckt voller Sexismus und wird benutzt, wenn keine Argumente mehr einfallen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

An Vorschlägen für das „Unwort des Jahres“ war kein Mangel. Wir leben in Zeiten der Unwort-Ballungsräume, soziale und asoziale Netzwerke sind gerammelt voll von ihnen. Mit „Klimahysterie“ hat die Unwort-Jury einen Volltreffer gelandet. Das Wort verknüpft ein aktuelles Thema mit einer bewährten Strategie der Verunglimpfung. „Hysterie“ ist ein Wort mit großem Hof und hellem Halo.

Es steht für irrational, weibisch, übertrieben, dramatisiert, verstiegen, unrealistisch – kurz, für alles, das nicht mit klarer Kante faktencheckend daherkommt. Schrille Oper eben, statt kühles Labor. Als „hysterisch“ galten gegen Ende des 19. Jahrhunderts seelisch beschädigte Frauen, die in den Augen der Neurologen unverständliche Symptome produzierten, etwa Schreie, Ohnmachtsanfälle und dergleichen.

Berühmt wurde hier die Forschung von Jean-Martin Charcot, Psychiater am Hôpital de la Salpêtrière in Paris. Auch der junge Sigmund Freud hat ihn besucht, hochinteressiert an dessen Forschungen zum Weibe. Von Charcots Präsentation einer seiner Hysterie-Patientinnen im Hörsaal entstand 1887 ein berühmtes Gemälde. Es zeigt ein Dutzend Herren wie sie, von den Bänken aus, eine soeben kollabierende Hysterikerin beobachten, deren Dekolleté bereits in Unordnung geraten ist, und eine bloße Schulter freigibt.

Wunderwaffe wird zum Bumerang

Solche Bilder, versammelt im allgemeinen Unbewussten, sorgen bis heute dafür, dass die Hysterie mit ihrem kräftigen Schuss Sexismus sich vorzüglich zum Denunzieren eignet. Wie von allein vermännlicht das Wort den Denunzianten und verweiblicht das Denunzierte, und befestigt dabei noch schön die tradierten Zuschreibungen für männlich und weiblich.

Wer die Sorge um den globalen Klimawandel desavouieren will, die Millionen Leute auf allen Kontinenten mit Tausenden in der Wissenschaft teilen, der braucht schon starkes Geschütz, und da kommt die erprobte Wunderwaffe „Hysterie“ wie gerufen. Allerdings kann gerade das zum Bumerang werden, denn wer „Klimahysterie“ ruft, verbirgt damit nur mäßig bis miserabel, dass ihm schlicht die Argumente fehlen und entlarvt, worum es ihm geht.

Leute, die „Nation“ als Schrebergarten wollen, hübsch völkisch eingezäunt und abgeschottet, haben in der Ära des Green Deal ganz schlechte Karten. Klimapolitik funktioniert nun einmal international, supranational. Wolken und Wind, Stürme, Fluten, Meeresströmungen und Regen halten sich nicht an Grenzen. Schon dieser, auf missliche Weise so faktische Umstand, beleidigt die Engstirnigen. Klima nutzt ihnen nüscht, und das ärgert sie.

Klimawissen spaltet nicht, vielmehr einigt es Gesellschaften und drängt global zum gemeinsamen Handeln. Übertriebene, irrationale und falsche Sorge um Klimafragen ist also, sorry, genau dort zu finden, wo das Wort „Klimahysterie“ entstand.    

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