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Meinung: Urteil zweiter Klasse

Das Bundesverfassungsgericht drückt sich um eine Entscheidung zum Kopftuch

Der treffendste Satz zum Kopftuchurteil stand im Minderheitenvotum. Dort übten die im Zweiten Senat unterlegenen Richter ungewöhnlich harsche Kritik: „Der Aufgabe, eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage zu beantworten, ist der Senat nicht gerecht geworden, obwohl der Fall entscheidungsreif ist.“ Will heißen: Das Verfassungsgericht hat gekniffen. Und nicht das getan, was seine Aufgabe wäre – zu klären, ob die im Grundgesetz verankerte Glaubensfreiheit auch das Recht der muslimisch-deutschen Lehrerin Fereshda Ludin einschließt, mit Kopftuch zu unterrichten. Stattdessen erklären sich die Richter für nicht zuständig und verweisen den Fall weiter zum Landesparlament in Baden-Württemberg – und zur Diskussion in der Öffentlichkeit.

Das Bundesverfassungsgericht ist schon lange zu einem politischen Schiedsrichter geworden. Zu einer Art API, einer außerparlamentarischen Instanz, die angerufen wird, wenn sich die Parteien im Bundestag wieder einmal nicht einigen können. Da kommt das jüngste Kopftuchurteil als Übung in Bescheidenheit daher: Der Fall wird nicht entschieden, sondern an Parlament und Polis rücküberantwortet, mit dem Zusatz versehen: Nun diskutiert mal schön.

Eine paradoxe Situation. Einerseits dehnt das Gericht seinen Entscheidungsspielraum immer weiter aus – etwa auf die Sozialgesetzgebung – wenn es die Rechte von Familien bedroht sieht. Andererseits verweigert es einer halben Million deutscher Muslime nun eine Klärung in einem Bereich, der zur Kernkompetenz des Verfassungsgerichtes zählt – den Grundrechten. Und die Richter geben dem Gesetzgeber auch keine klaren Entscheidungshilfen an die Hand, welche Kriterien ein Gesetz über das Tragen religiöser Symbole in der Schule denn zu erfüllen habe. Eine Entscheidung auf Wiedervorlage also. Denn wo die Kriterien so vage bleiben, warten bereits weitere Klagen, die möglicherweise dann gleich 16 neue Landesgesetze zur Überprüfung schicken.

Was schlimmer ist: Die Zaghaftigkeit des Gerichtes geht auf Kosten der Muslime mit deutschem Pass. Nordrhein-Westfalen hat schon angekündigt, Lehrerinnen mit Kopftuch zulassen zu wollen, Bayern und Baden-Würtemberg wollen dies untersagen. So wird es in Deutschland in Zukunft Musliminnen erster und zweiter Klasse geben – solche, die für den Staat mit Kopftuch arbeiten dürfen und andere, denen dies verwehrt bleibt.

Die Verweigerung der Richter überrascht, weil sie eigentlich eine komplette Grundrechtsargumentation ausführen: Jeder Deutsche muss gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern haben. Zulassungskriterien dürfen nur Eignung, Befähigung und fachliche Leistung sein, nicht aber die Religion. Zudem, so das Gericht, sei nicht erwiesen, dass sich das Kopftuch einer Lehrerin negativ auf Kinder auswirke, noch gehe von ihm eine eindeutige politische Botschaft aus. „Abstrakte Gefahren“, ein bloßer Verdacht also, dass Ludins Kopftuch schädliche Einflüsse auf die Schüler haben könne, reiche als Grundlage für eine Verwaltungsentscheidung nicht aus, die so grundlegend in die Glaubensfreiheit eingreift.

Statt aber auf die Kraft ihrer Argumente zu vertrauen, nehmen die Richter einen Trick zu Hilfe – und weichen ins Formale aus. Sie verlangen ein Gesetz, weil elementare Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion nicht von der Verwaltung entschieden werden dürften. Dazu brauche es ein Parlament. Früher, so möchte man einwenden, hätte sich das auch ein Verfassungsgericht getraut.

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