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Meinung: US-Wahl: Keine Macht für niemand

Wenn die Amerikaner etwas hassen, dann ist es das Unentschieden. Man liebt den Tie Break und den Sudden Death, hat deshalb in den guten, alten europäischen Fußball diesen "plötzlichen Tod" eingeführt.

Wenn die Amerikaner etwas hassen, dann ist es das Unentschieden. Man liebt den Tie Break und den Sudden Death, hat deshalb in den guten, alten europäischen Fußball diesen "plötzlichen Tod" eingeführt. Dass es nur bloß nie ein Rennen ohne Sieger geben möge, keine Dramaturgie, die am Ende einfach so verebbt. Das ist es ja gerade, was wir Kontinental-Europäer mit unserem grauen Konsensgetriebe, unserem Verhältniswahlrecht und unseren Null-zu-Nulls in Politik und Sport an den Amerikanern so mögen, diese Entschlossenheit und Tatkraft. (Wir mögen natürlich auch sehr, dass zwischen uns Langeweilern hier und jenen quicklebendigen Amerikanern ein bisschen Ozean liegt.)

Und jetzt das: Die Vereinigten Staaten können sich auf keinen Präsidenten einigen, tagelang, nächtelang. Sie produzieren einen Super Bowl, bei dem zum guten Schluss die Luft aus dem Ei entweicht. Man könnte das einen unglücklichen Zufall nennen, aber das ist es gerade nicht. Das knappe Stimmergebnis zwischen George Bush junior und Al Gore drückt die innere Unentschiedenheit des Wahlvolks und der Politik aus. Das war vor acht Jahren noch anders. Da standen sich George Bush der Ältere und Bill Clinton, der damals noch sehr junge, gegenüber. Das war eine echte Alternative. Der Reagan-Nachfolger Bush war wenigstens von Ferne noch umweht von einem schwarz-reaktionären, fast ideologischen Republikanismus. Während der Demokrat Clinton - besser: die Clintons - ihre 68er-Revolte noch in den Kleidern hing. Bill, Hillary und Al - die drei wollten vor acht Jahren noch richtig reformieren, das Gesundheitssystem beispielsweise, aber auch die Umwelt retten, die amerikanische und sogar die globale.

All das wurde den Wählern diesmal nur lauwarm präsentiert. Bush jr. taugt nicht als reaktionäres Schreckgespenst, und Al Gore, der schwächste und blasseste unter den drei oberen Clintonisten, hat seinen Idealismus in acht Jahren Regierungspragmatismus restlos abgeschliffen. Insofern war bei dieser Präsidentschaftswahl nur das Rennen interessant, nicht die Läufer. Mittlerweile wissen wir, dass der Unentschiedenheit des politischen Angebots eine Unentschiedenheit der politischen Nachfrage entspricht - auch das Wahlvolk konnte sich nicht entscheiden.

Diesmal ging es weder um Programmatik noch um Charisma, noch um diesen allzu amerikanischen Silberglanz der Hoffnung, wie ihn nach John F. Kennedy am glaubwürdigsten Bill Clinton ausstrahlte. Nein, diesmal ging es eher um ein vages feeling: Ob man denn in Washington, im Weißen Haus und im paralysierten Kongress eine große Veränderung wünscht, oder ob man gerade diese Veränderung nicht lieber verhindern möchte, auf dass die gut florierende Wirtschaft nicht irritiert werde. Die Politik und das Wahlvolk waren zu nichts so recht entschlossen. Die einzige Weltmacht rätselt: Wohin mit der Macht? Wozu der weltweite Einfluss? Was tun mit Wohlstand und Wachstum?

So scheint in dieser Unentschiedenheit auch etwas Beängstigendes auf. Die Nation im Aufbruch scheint angekommen zu sein. Amerika ist überall, unangefochten. Es wird von keiner zweiten Supermacht pikiert und auch vom Euro nicht traktiert, der weichen Währung jener transatlantische Großmacht en miniature. Im Zenit herrscht: Schwerelosigkeit. Die USA aber werden sich für einen der beiden Präsidentschaftskandidaten entscheiden müssen, per Gerichtsentscheid, durch Votum des Repräsentantenhauses oder Los. Und beim nächsten Mal wird hoffentlich Hillary Clinton antreten.

In vier Jahren ist es vorbei mit der Unentschiedenheit.

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