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USA: Anschlag in Arizona: Analyse kommt später

Die USA wollten nach dem Attentat heilende Worte: Barack Obama hat das verstanden, Sarah Palin nicht.

Jedes Volk hat eigene Maßstäbe, was seine Anführer in Momenten nationaler Erschütterung sagen sollen        – und was nicht. Das ist Teil der Kultur und Tradition. Hätte Barack Obama diese Rede nicht bei der Trauerfeier in Tucson gehalten, sondern vor deutschem Publikum nach den Massenmorden in Erfurt und Winnenden, würde er wohl nicht als Wunderheiler gefeiert. Es gäbe Mäkeleien: Ging das religiöse Pathos nicht zu weit? Warum weigerte er sich rundheraus, über politische Ursachen und Konsequenzen zu reden? Die laxen Waffengesetze gehören doch zum Kontext, die Verherrlichung der Gewehre, das Sparen an staatlichen Programmen zur Hilfe für psychisch Kranke wie den Attentäter Jared L. Und die Sprache der Gewalt in der amerikanischen Politik, die schnell zum Vokabular von Jagd, Krieg und Vernichtung greift.

Doch Obama sprach zu Amerikanern. Die erwarten so kurz nach der Tragödie Seelenheilung, nicht Seelenforschung. Der Präsident muss in diesem Moment mehr Pastor als Politiker sein. Neben seiner rhetorischen Kunst zeigte sich freilich erneut eine Schwäche. Er besticht mit seinem Intellekt. Im Vergleich zu Ronald Reagan, Bill Clinton und auch George W. Bush – was für Deutsche schwer zu verstehen ist – hat Obama jedoch ein Defizit an emotionaler Überzeugungskraft. Er zeigt keine feuchten Augen. Da muss Pathos als Ersatz herhalten.

Die politische Debatte wird noch kommen. Und sie wird ihm gerade deshalb nutzen, weil er sich jetzt zurückgehalten hat. Auch das zeigt die Erfahrung in den ersten fünf Tagen nach der Bluttat: Vorschnelle Urteile werden zum Bumerang, jedenfalls in den USA. Die rasche Interpretation des Sheriffs von Tucson, die politische Giftschleuderei und die Waffengesetze seien Ursache des Attentats, klang zunächst sympathisch, zumal spürbar war, dass er aus Überzeugung und langer Erfahrung sprach – und aus ehrlicher Sorge um sein Land. Dennoch löste er einen scharfen Streit aus. Die Nation wollte erst mal innehalten. Und die Ermittlungen unterminierten sein Urteil: Es gab keine Hinweise auf Verbindungen des Täters zur Tea Party oder Sarah Palin. Aber viele Belege für einen jahrelang gewachsenen Zorn auf Gabrielle Giffords.

Obama versteht sein Volk. Palin nicht. Es war eine Anmaßung, ihre Interpretation am Tag der Trauerfeier gegen seine zu stellen – so als sei sie bereits seine Gegenkandidatin für die Wahl 2012. Auch inhaltlich griff sie daneben. Zur Inszenierung diente auch ihr nationales Pathos: die Flagge, die Anrufung Gottes und der Gründerväter. Doch ihr und ihren Beratern fehlt die intellektuelle Reichweite. Wie konnte sie nach dem Attentat auf die Jüdin Giffords behaupten, der Vorwurf ihrer Mitschuld gleiche einer „Ritualmord-Anklage“!

Palin denkt offenbar immer im Freund-Feind-Schema, vor allem aber zuerst an sich. Ihr fehlt das Gespür für den Unterschied zwischen leerem Pathos und erwünschtem Pathos. Wenn sie nicht lernt, hat sie gegen Obama keine Chance.

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