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USA: Suche nach der verlorenen Mehrheit

Barack Obama muss die Demokraten einen, um seine innenpolitische Agenda durchzusetzen: Denn von der Republikanern hat er nichts zu erwarten.

Siebeneinhalb Monate sind eine lange Zeit. Mit breitem Rückhalt hatte Barack Obama im Januar die Präsidentschaft angetreten. Ihm traute man zu, die Lagerspaltung zwischen Republikanern und Demokraten zu überwinden. Der Traum ist ausgeträumt. Von der Rechten darf er keine Unterstützung für seine Ziele erwarten, schon gar nicht für sein wichtigstes innenpolitisches Projekt, die Gesundheitsreform. Das haben die hitzigen Angriffe der Rechten mit Sozialismusvorwürfen und Hitler-Vergleichen deutlich gemacht.

Schlimmer noch, er hat nicht mal mehr die eigene Partei hinter sich. Mit seinem Bemühen, einige Republikaner durch Kompromissbereitschaft auf seine Seite zu ziehen, hat er viele Demokraten verprellt. Der progressive Flügel wirft ihm vor, er gebe zentrale Wahlversprechen wie eine allgemeine Krankenversicherung, die vom Staat getragen werde, zu schnell auf. So steht der Präsident trotz seines grandiosen Wahlsiegs nun ohne verlässliche Mehrheit da.

Obama ist sich des Ernstes der Lage bewusst. Kaum war der Kongress aus der Sommerpause zurück, griff er zu dem seltenen Mittel einer Rede vor beiden Kammern, Abgeordnetenhaus und Senat, um die Führung zurückzuerobern. Er zeigte noch einmal, warum er die Wahl gewonnen hat: Er vermag leidenschaftlich und überzeugend für seine Sache zu werben, mit einer Mischung aus Argumenten, Emotionen und Idealismus. Seine Partei erwartete, dass er den Angriffen der Rechten mit ähnlichem Kampfgeist entgegentritt. Das hat Obama erfüllt.

Wer dagegen auf eine Festlegung hoffte, welche Bedingungen eine Gesundheitsreform erfüllen müsse, damit er ein solches Gesetz unterschreiben könne, wurde abermals enttäuscht. Er hält an der Linie fest, der Entwurf müsse aus dem Parlament kommen. Er will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, er übergehe den Kongress. Das ist eine Lehre aus dem Scheitern des letzten Reformversuchs unter Bill Clinton 1993/94.

Wird es also ein Angebot – und eine Versicherungspflicht – für die rund 47 Millionen Bürger geben, die bisher keine bezahlbare Krankenversicherung finden, im Zweifel durch eine öffentlich getragene Versicherung, weil die privaten nicht alle versichern wollen? Obama hat eine Festlegung vermieden. Er will sich Optionen offen halten. Zudem gibt es eine wichtigere Wählergruppe als die 47 Millionen Bürger oder rund 15 Prozent der Bevölkerung ohne Versicherung: nämlich die 85 Prozent, die eine Versicherung haben und sich Sorgen um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen machen. Sehr viele Amerikaner fürchten, es werde zu teuer, wenn alle Unversicherten in das System aufgenommen werden. Viele der Betroffenen werden als sogenannte schlechte Risiken betrachtet.

Eine Rede wendet nicht die Stimmung – nicht einmal, wenn ein guter Rhetoriker mit der Aura Obamas sie hält. Aber sie weist den Weg. Obama wird sich nicht mehr lange um Unterstützung aus den Reihen der Republikaner bemühen. Er muss die eigene Partei geschlossen hinter sich bringen. Die zögernden Mitte-rechts-Demokraten wird er mit Argumenten nicht überzeugen. Die blicken ängstlich auf ihre Wähler und die Kongresswahl im November 2010. Aber er kann ihnen drohen: Wenn sie ihren Präsidenten im Stich lassen, dann laufen sie Gefahr, ihren Teil der Macht zu verlieren.

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