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Bürgerrechtsaktivisten protestieren vor dem Supreme Court, der den Voting Rights Act für unzeitgemäß erklärt hat.

© dpa

USA und Diskriminierung: Gericht erklärt pro-afroamerikanisches Wahlgesetz für veraltet

Der Oberste Gerichtshof hat ein Gesetz von 1965 für nicht mehr zeitgemäß erklärt, dass das Wahlrecht von Afroamerikanern schützen soll. Die USA sollten ihre Wahlgesetze insgesamt anpassen – um Manipulationsversuche zu unterbinden.

Der Voting Rights Act von 1965 ist ein Glanzstück der amerikanischen Geschichte. Mit dem Gesetz verhinderte der Kongress, dass sich die Diskriminierung der Afroamerikaner, die damals erst ihre vollen Bürgerrechte bekommen hatten, an den Wahlurnen fortsetzt: indem Behörden sie durch Lesetests oder Gebühren vom Wählen abhalten. Der Kongress machte neun Staaten, die im Verdacht standen, den Wählerwillen nach der Hautfarbe manipulieren zu wollen, die Auflage, vor jeder Änderung ihrer Wahlgesetze die Genehmigung des nationalen Justizministeriums einzuholen.

Selten lässt sich die Wirkung eines Gesetzes so gut belegen wie hier: Die Wahlbeteiligung Schwarzer in den neun Staaten hat sich in den 48 Jahren rund verzehnfacht und liegt heute in fünf davon höher als die der Weißen. Großstädte wie Selma, Alabama, die damals Brennpunkte waren, haben nun schwarze Bürgermeister. Amerika hat 2008 und 2012 einen Afroamerikaner zum Präsidenten gewählt.

Unter Verweis auf den Erfolg des Gesetzes hat die konservative Mehrheit der Obersten Richter dessen Kern für nicht mehr zeitgemäß erklärt – und für verfassungswidrig. Die Auflage bedeute eine juristische Benachteiligung der neun Staaten, die ihr Wahlrecht nicht selbst regeln dürfen. Dafür gebe es heute keine ausreichende Grundlage mehr. „Amerika hat sich gewandelt“, heißt es im Urteil.

Die progressive Minderheit argumentiert umgekehrt: Nur dank der Auflagen gebe es Fortschritt. Wenn sie entfallen, drohe ein Rückfall. So sieht es auch Amerikas Linke und reagiert empört. Bis heute gebe es landesweit Versuche republikanischer Politiker, Schwarze und andere Minderheiten, die zum Großteil für die Demokraten stimmen, vom Wählen abzuhalten, zum Beispiel durch die Auflage, einen Führerschein zur Identifizierung vorzulegen, den Arme oft nicht haben, oder eine amtliche Bestätigung der Wohnadresse, die Geld kostet. Was sich in Amerika gewandelt habe, seien die subtileren Formen der Diskriminierung.

Relevant sind die neuen Ansätze der Wählerunterdrückung freilich nicht in den neun Staaten, die das Gesetz abdeckt; die sind mit Ausnahme Virginias fest in republikanischer Hand. Sondern in umkämpften Staaten wie Ohio und Wisconsin, die jetzt republikanische Gouverneure und Landtagsmehrheiten haben; sie wollen ihre Macht durch Auflagen, die Minderheiten vom Wählen abhalten, festigen.

Beide Seiten haben recht: Man darf nicht veraltete Gesetze in Kraft lassen, deren Voraussetzungen entfallen sind. Man muss aber die aktuellen Manipulationsversuche unterbinden. Das wäre die Aufgabe der Gesetzgeber, national und regional. Erst wenn die versagen und Benachteiligte klagen, kommen die Richter erneut ins Spiel. Der Kongress ist gespalten. Er wird den Richterauftrag, ein zeitgemäßes Gesetz zu verabschieden, nicht erfüllen. In der Praxis wird das Justizministerium fragwürdige Regelungen in Einzelstaaten nicht mehr vorab verhindern können, sondern hinterher klagen. Demokratie und Rechtsstaat haben manchmal ihre mühsamen Seiten.

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