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Wolfgang Prosinger, Jahrgang 1948, und seine Tochter Julia Prosinger, Jahrgang 1985, sind beide Autoren des Tagesspiegels.

© Kai-Uwe Heinrich

Vater und Tochter über das Alter: Zusammen sind wir Mitte

Deutschland altert. Erzeugt das neue Generationenkonflikte? Ein Familiengespräch

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Sag mal Papa, du sitzt ja immer noch im Büro! Wird’s mit 67 nicht mal Zeit, Feierabend zu machen?

Ich denke nicht daran. Ich bin weder gebrechlich noch verblödet. Also arbeite ich. Da geht es mir wie Millionen anderer. Gerade hat das Statistische Bundesamt eine neue Studie rausgebracht. 14 Prozent der Deutschen ab 65 sind noch erwerbstätig, vor zehn Jahren waren es nur sechs Prozent. Du siehst also: Ich liege im Trend, ich bin in der Mitte des Lebens. Na ja, in einer späten Mitte, genau genommen.

Aber ich bin auch in der Mitte meines Lebens. Bloß am vorderen Ende. Ich arbeite genau wie du, verdiene mein eigenes Geld und bin nur für mich verantwortlich. Ich habe noch keine Kinder, kann nachts um vier nach Hause kommen und in Urlaub fahren, wann ich will.

37 Jahre liegen zwischen uns. Trotzdem ähneln sich unsere Situationen. Das hat es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben. Früher sprach man von drei Lebensaltern: Kindheit, Erwerbsarbeit, Alter. Jetzt hat sich, weil die Leute älter werden, aber gesünder bleiben, eine neue Stufe dazwischen geschoben, die Phase zwischen 65 und 80. Du bist in Stufe zwei und ich in Stufe drei. Die unterscheiden sich erstaunlich wenig.

Neulich auf der Party zu meinem 30. Geburtstag hast du mit meinen Freunden zu Rapmusik getanzt, es fiel gar nicht auf. Hinten im Raum saß meine Großmutter – die ist eine echte Alte. Je älter die Gesellschaft wird, desto mehr rücken wir beide zusammen. Es fühlt sich gar nicht so an, als läge so viel Zeit zwischen uns. Deine Eltern konntest du noch provozieren, wenn du die Rolling Stones gehört hast. Ich konnte dich weder mit Ladendiebstahl noch mit Sexgeschichten schocken. Du hast mir jede Chance zur Rebellion genommen.

Soll ich mich dafür vielleicht entschuldigen? Das Verhältnis zu meinen eigenen Eltern war völlig anders. Als die in Ruhestand gingen, waren sie wirklich alte Leute, körperlich angeschlagen, geistig nicht mehr sehr beweglich. Es war ein richtiger Generationenwechsel – ich in der Arbeit, sie auf dem Altenteil. Natürlich hatte ich damals das Gefühl: Jetzt musst du dich um sie kümmern, so, wie sie sich um mich gekümmert hatten, als ich ein Kind war.

Zum ersten und zum einzigen Mal gibt es kein Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen uns. Du musst mich weder füttern, noch zur Klavierstunde fahren. Du kannst mir nicht mit Rauswurf drohen oder meinen Lebensunterhalt streichen, wenn ich etwas ganz Irres machen würde: zum Beispiel FDP wählen. Ich freu mich zwar, wenn wir reden, aber deinen emotionalen Beistand habe ich nicht mehr jeden Tag nötig. Wir sind gleichberechtigt, das ist doch großartig!

Ja, wir sind gleichberechtigt, aber nicht gleich.

Weil ich das ganze Leben noch vor mir habe. Zukunft. Das ist aufregend, aber anstrengend. Meine Generation steht unter einem Zeitdruck, den ihr nicht kanntet. Hans Bertram, einer der renommiertesten deutschen Familienforscher, spricht von der „überforderten Generation.“ Meine Uniabschlüsse, meine Praktika, meine Berufserfahrung garantieren mir keine Festanstellung. Ich soll mobil sein, jederzeit ins Ausland gehen können, für verschiedene Projekte gleichzeitig mit befristeten Verträgen arbeiten. Um eine Familie zu ernähren, sagt Bertram, brauche es heute durchschnittlich 67 Arbeitsstunden, bei dir waren es noch 56. Parallel wollen wir gute Eltern sein und interessante Menschen bleiben: Chinesisch lernen, Yoga machen, Uhus retten. Und dann soll ich noch für das Alter vorsorgen. Ich arbeite für deine Rente, aber wer arbeitet für meine?

Ich habe keine Antwort darauf. Aber dass die Jungen für die Alten die Zeche zahlen, ist falsch. Ein Kind großzuziehen kostet Eltern bis zu 200 000 Euro, und die Nullrunden haben den Rentnern in den letzten zehn Jahren zwölf Prozent Einkommensverlust beschert. Außerdem wird die Dimension Zukunft jedes Jahr, das ich älter werde, geringer. Unsere momentane Situation, die Gleichheit der Lebenslagen, ist von begrenzter Schönheit. Die Lastenverteilung wird sich irgendwann ändern, wenn ich pflegebedürftig werde. Und möglicherweise passiert das genau dann, wenn du Kinder hast.

Mach dir bloß nichts vor. Wenn es so weit ist, stecke ich dich in ein ganz scheußliches Pflegeheim am Rand der Stadt. Und lasse dich entmündigen.

Aber vorher werde ich dich enterben.

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