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Regeln und Verbote gibt es in Berlins öffentlichen Verkehrsmitteln genug. Es hält sich nur keiner daran.

© dpa

Verbote werden ignoriert: Die Beförderungsbedingungen der BVG sind ein Possenspiel

Alle beschweren sich über die S-Bahn – aber auch die U-Bahn liegt im Argen. Säufer, Schläger, Musikanten: Die BVG duldet täglich, was sie eigentlich verbietet.

Morgens ist die U-Bahn ein Futtermobil. Tasche unterm Arm, Handy am Ohr, bleibt eine freie Hand für das mit Käse und Schinken gestopfte Panini. Der Nachbar balanciert einen Becher Milchkaffee. Nach der Fahrt kann jeder den Kollegen die klebrige Hand zum Morgengruß bieten.

Wer studiert schon das Kleingedruckte? Auf den Bahnhöfen hängt neben dem Stadtplan ein Dokument, das nur mit Lupe und in gebückter Haltung zu lesen ist: Die Beförderungsbedingungen der Verkehrsbetriebe. „Pst!“, ahnt man die BVG-Chefin sagen, „weil sonst der ganze Bahnsteig lacht.“ Raus mit der Lupe! Paragraf 4. Was ist verboten? Der Genuss von Alkohol – auch ohne Gesetz! – ebenso wie die Mitnahme „übel riechender“ Gestalten, der Verzehr „offener Speisen“ und Auftritte des lärmenden Kleinstkunstgewerbes. Hunde müssen Maulkorb tragen (noch nie erlebt!). Untersagt ist, in Abfallkörben zu wühlen, die „Motz“ feilzubieten, zu betteln und „mit dem Ziel des Gelderwerbs Schau- oder andere Darstellungen“ vorzuführen.

Selten so gelacht, die Paragrafen sind ein Possenspiel. Denn die BVG untersagt wortreich alles, was sie täglich duldet und und „mit dem Ziel des Gelderwerbs“ befördert. Senf und Mayo, Currywurst und Riesenfritten gibt es an der Bahnsteigkante. Dazu Sprit in jeder Menge. Ein Prösterchen am Kiosk neben den Geleisen und dann: „Gute Weiterfahrt!“

In ihrem Internetauftritt präsentiert sich die BVG als „modernes Dienstleistungsunternehmen“, das sich „mit innovativen Strategien den Herausforderungen der Zeit stellt“. Das ist Leitbild-Papperlapapp. Aber im Zeitalter von Mario Barth und Cindy aus Marzahn stellt sich die BVG der Herausforderung, im Spaßbetrieb mitzumischen, und zwar mit diesem launigen Text: Wer Verstöße gegen die „obliegenden Pflichten“ beobachtet, habe diese dem Aufsichtspersonal zu melden. Ist keins vor Ort, sind die Beschwerden „unter Angabe von Datum, Uhrzeit, Wagen- und Linienbezeichnung sowie möglichst unter Beifügung des Fahrausweises an die Verwaltung des Verkehrsunternehmens zu richten“. So groß kann kein Postsack sein.

Die Hinweise zum Meldewesen stammen aus einer Zeit, als die BVG noch keine Unternehmensleitbilder verzapfte, sondern sich auf jedem Bahnsteig neben dem Zugabfertiger zwei Ticketverkäufer gönnte, die für Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit sorgten. In heutigen innovativen Zeiten könnte der Vorstand des Unternehmens diese possierlichen Anweisungen durch den zur Zeit plakatierten Befehl „Notruf drücken, helfen, Courage zeigen!“ ersetzen: Der Kunde als Mitglied einer freiwilligen Polizeireserve, der über den Bahnhof zum Notruf rast, sich noch eine einfängt, um mit blutender Nase zu gurgeln: „Hilfe, Polizei!“, während die anderen dem mit Korn-Flaschen bewaffneten Übeltäter das Opfer aus den Klauen reißen – das ist die Vorstellung von Service, den der Fahrgast dem Unternehmen schuldet. Meint die BVG. Warum schreibt die Rechtsabteilung das nicht als Paragraf 1 in die Beförderungsbedingungen und klärt dabei zugleich den Versicherungsschutz, den die BVG jedem einzelnen Angehörigen ihrer Schutztruppe zusammen mit dem Fahrschein aushändigt?

Alles nicht so gemeint. Stimmt: Die U-Bahn wird weiter Produzent nächtlicher Gewaltvideos sein. Das eisbärgroße Untier wird, ohne Maulkorb, weiter die Zähne neben meinem Hosenbein fletschen. Fahrgäste werden entnervt ihre Handy-Telefonate unterbrechen, wenn die Musik-Bandidos vom Balkan durch den Mittelgang ziehen. Nichts Neues also bei den Bedingungen, unter denen die U-Bahn ihre Kunden befördert.

Nur neulich hatte ich ein neues Erlebnis. Durch einen der Gelenkzüge raste ein Skateboarder von der hinteren zur vorderen Fahrerkabine. Er nahm sich die Vorfahrt, die Fußgänger stoppten. Um den Notruf zu drücken, hätte ich aussteigen müssen. Es gab auch keine Verletzten. Personal war nicht vor Ort. Die schriftliche Eingabe scheiterte, da ich nicht weiß, wo ich das Wagenkennzeichen finde. Auch meine Fahrkarte war nicht einsendebereit: Es ist eine Monatskarte. An so simplen Hindernissen kann der Einsatz eines Hilfspolizisten scheitern. Mein Vorschlag, wenigstens die Verkehrsregeln in den U-Bahn-Waggons zu klären. Gegebenenfalls durch ein Plakat: „Deine Waffe gegen Verkehrsunfälle! Rechts fahren, Vorfahrt achten, Verständnis zeigen – für innovative Formen der Fortbewegung!“

Die BVG will ein „modernes Dienstleistungsunternehmen“ sein? Das ist Leitbild- Papperlapapp!

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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