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Meinung: Vergangenheit regiert das Land

Von Jacob Heilbrunn Gerhard Schröder ist der Heinrich Brüning der Berliner Republik. Sicher, Schröder drückt die Europäische Zentralbank auf niedrigere Zinsraten und es gibt keine Gefahr einer Übernahme durch den rechten Flügel.

Von Jacob Heilbrunn

Gerhard Schröder ist der Heinrich Brüning der Berliner Republik. Sicher, Schröder drückt die Europäische Zentralbank auf niedrigere Zinsraten und es gibt keine Gefahr einer Übernahme durch den rechten Flügel. Aber bei den großen Themen stecken er und seine Landsleute in der Falle der Erinnerung an die Weimarer Republik, nicht nur bei der Angst vor einem Krieg, sondern auch bei der Angst vor einer Inflation. Wie Brüning, der die Ausgaben drastisch gekürzt hatte, anstatt zu investieren, zeichnet sich der ökonomische Kurs Schröders durch Anheben der Steuern und Senken der Ausgaben aus.

Nichts könnte falscher sein. Schröder sollte das Gegenteil tun. In einer Zeit der wirtschaftlichen Krise deprimiert man die Wirtschaft nicht, man stimuliert sie. Das letzte, was man wollte, ist, sie immer weiter runterzufahren – besonders mit den für den Winter angekündigten 4,5 Millionen Arbeitslosen.

In den Vereinigten Staaten haben Bush und der Kongress die Steuern just in dem Augenblick reduziert, als die Wirtschaft ins Stottern geriet. Und das war gut so. Hätten sie das nicht getan, wäre die Wirtschaft heute noch wesentlich schlechter dran. Weitere Steuerkürzungen könnten den Weg säumen, wenn die Wirtschaft nicht bald wieder anspringt. Tatsache ist, dass sich das Senken der Zinsraten als Weg zur Gesundung der Wirtschaft als ineffektiv erwiesen hat – sowohl in den USA als auch in Japan. Staatsausgaben und Steuersenkungen sind es, die helfen können.

Das ist der Grund, weswegen Schröders Politik so hirnverbrannt wirkt. Sie sehen einen Sozialisten, der sich wie der konservativste Banker der Welt verhält. Der britische Sozialist John Maynard Keynes zeigte nach dem Zweiten Weltkrieg, dass es oft notwendig ist, auf Pump zu leben, sich den Weg aus der Rezession zu erkaufen, um dann, wenn die Wirtschaft wieder in Gang gekommen ist, zurückzuschrauben. Warum ignoriert ein deutscher Sozialist die Geschichte und warum versucht er, den Etat und die niedrigeren Ausgaben auszubalancieren?

Ein Teil der Antwort ist, dass der Europäische Stabilitätspakt ein Defizit unter drei Prozent fordert, um den Euro zu stützen. Nun rächt sich die Geschichte. Deutschland bestand auf diesen Pakt. Aber wenn drei Prozent damals töricht waren, so sind sie jetzt geradezu lächerlich. Die Nachricht, dass EUKommissar Pedro Solbes „Blaue Briefe“ an Deutschland, Frankreich und möglicherweise sogar Italien senden will, zeigt, dass mit dem Stabilitätspakt vielleicht doch nicht alles ganz stimmt. Wie in aller Welt sollen die Länder ihre Wirtschaft auf die Beine bringen, wenn sie sich nicht ein Defizit von, sagen wir, vier bis fünf Prozent leisten dürfen?

Die USA sieht sich Deutschlands Notlage kaum mit kalter Gleichgültigkeit an. Im Gegenteil. Was Deutschland tut, und was es nicht tut, hat direkte Folgen für die Vereinigten Staaten. Die meisten Analysen beschäftigen sich damit, ob Amerika Deutschland und andere Staaten aus ihrem Sumpf ziehen wird. Aber in den USA ist die Furcht umgekehrt. So lange Deutschland von den Geistern der Vergangenheit traumatisiert bleibt, besteht die Gefahr, dass es, zusammen mit Japan, nicht nur seine Wirtschaft lahm legt, sondern auch noch die Vereinigten Staaten.

Der Autor ist Leitartikler der „L.A. Times“ Foto: privat

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