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Meinung: Vertrauen gefragt

Von Tissy Bruns

Wenn ein Verfahren keinen direkten Weg zu einem definierten Ziel zulässt, entstehen Missverständnisse. Zum Beispiel das folgende: Wer bei der Vertrauensfrage nicht mit Ja stimmt, misstraut dem Bundeskanzler und ist schuld. Vor zwei Wochen sind bei SPDLinken und Grünen die Wellen hochgeschlagen, weil dort befürchtet wurde, dass die Vertrauensfrage als öffentliche Abrechnung verstanden werden könnte – und natürlich wollte niemand es gewesen sein, der Rot-Grün den Boden unter den Füßen entzieht. Inzwischen ist relative Ruhe nach der großen Aufregung eingekehrt, die Schröders Neuwahl-Coup in den rot-grünen Reihen ausgelöst hat. Die Abgeordneten wissen, dass es am nächsten Freitag nicht um Schuldfragen, sondern um Neuwahlen geht.

Wenn die Grünen nun sagen, sie würden ihren Teil dazu beitragen, und wenn SPD-Chef Müntefering seinen Fraktionskollegen empfiehlt, sich der Stimme zu enthalten, versteht man das zu Recht so: Es geht nicht um ein Schuldbekenntnis, im Gegenteil.

Willy Brandt scheiterte mit seiner Vertrauensfrage absichtsvoll, weil seine Minister nicht an der Abstimmung teilnahmen. Als Helmut Kohl 1982 Neuwahlen wollte und deshalb die Vertrauensfrage stellte, erhielt er ganze acht Ja-Stimmen, denn die überwältigende Mehrheit der beiden Regierungsfraktionen enthielt sich. In beiden Fällen kam die Botschaft bei den Bürgern richtig an. Die enthaltsamen Minister und Abgeordneten haben ihrem Kanzler nicht etwa misstraut, sie haben ihn vielmehr auf einem Weg unterstützt, der neue Wahlen dem politischen Stillstand oder einer fragwürdigen Legitimation vorgezogen hat.

Das wird diesmal nicht anders sein. In seltener Einmütigkeit wollen Parteien und Bürger Neuwahlen. Wer und was dafür verantwortlich ist, dass Schröder nicht weiter regieren kann – die Antworten darauf dürfen wir von der Erklärung erwarten, die er am Freitag abgibt.

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