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Wehrt sich noch gegen die deutsche Führungsrolle in Europa: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© dapd

Vertrauen statt Kontrolle: Europa braucht die deutsche Führung nicht

Berlin fordert die Schuldenbremse mit Verfassungsrang, Sanktionen für Defizitsünder und jetzt sogar einen europäischen Haushaltskommissar. Was für eine Gemeinschaft soll das sein, in der man so mit seinen Partnern umspringen kann?

Die Deutschen sollen die Führungsrolle in Europa übernehmen: Dieser Satz galt noch vor wenigen Jahren als unaussprechlich. Nein, am deutschen Wesen wollte die Welt nicht genesen. Gemeinsam mit den USA, Frankreich oder Großbritannien, eingebunden in EU, Nato oder UN – allenfalls so waren deutsche Machtansprüche willkommen. Doch inzwischen wird die deutsche Führungsrolle regelrecht eingefordert, gerade wieder vielstimmig beim Weltwirtschaftsforum in Davos, und kaum jemand nimmt Notiz davon, weil die Losung so selbstverständlich geworden ist. Deutschland als größte Volkswirtschaft und bevölkerungsreichstes Land des Kontinents muss führen, natürlich. Wer denn sonst?

Aber Geschichte endet nie. Wenn griechische Medien den neuen europäischen Haushaltskommissar, den die Bundesregierung vorschlägt, als „Gauleiter“ schmähen, ist das eine vorhersehbare und nachvollziehbare Assoziation. Vor gut 70 Jahren trat ein gewisser Günther Altenburg in Athen seine neue Stelle an: als „Bevollmächtigter des Reiches für Griechenland“. Die deutschen Besatzer organisierten nicht nur die Deportation und Ermordung der Juden, sondern beuteten das Land wirtschaftlich gnadenlos aus.

Nun soll die Erinnerung an das Grauen jener Jahre nicht einer kritischen Betrachtung der griechischen Staatsfinanzen im Wege stehen. Und man kann auch nicht mit dem Holocaust gegen kluge Haushaltspolitik argumentieren. Wäre es also nur die mangelnde historische Sensibilität, mit der die Deutschen die Griechen brüskieren, ließe sich das mit etwas diplomatischem Geschick sicher heilen.

Aber so ist es eben nicht. Der Vorschlag ist nicht nur unsensibel, sondern er illustriert, dass diese Währungsgemeinschaft offenkundig keine mehr sein soll. Jetzt geht es Reich gegen Arm, Stark gegen Schwach. Das Papier, das die Bundesregierung den anderen Euro-Staaten vorgelegt hat, ist das Eingeständnis des Scheiterns. Wenn Griechenland nur mit dem Veto eines europäischen Haushaltskommissars auf Sparkurs gebracht werden kann, dann stellt das die bisherigen Beschlüsse grundsätzlich infrage. Die Schuldenbremsen mit Verfassungsrang reichen also doch nicht? Dabei ist es keine zwei Monate her, dass der neue Fiskalpakt als Lösung gefeiert wurde.

Die Sanktionen, die man im Dezember nicht durchsetzen konnte, sollen wenigstens für Griechenland gelten. So ist der deutsche Vorschlag wohl zu verstehen. Aber was für eine Gemeinschaft, was für eine Union soll das sein, in der man so mit einem einzelnen Mitglied umspringen kann? Schon der Sparkurs an sich, dem sich 26 der 27 EU-Staaten verpflichtet haben, gilt als deutscher Sonderweg, aber der Sparkommissar wäre es noch mehr. Die Griechen haben doch schon die Troika aus IWF, EU und EZB im Land, sie brauchen nicht auch noch einen Peter Zwegat, der ihnen alles auf einer Flipchart vorrechnet. Das Hilfspaket, um das es jetzt geht, soll kurzfristig eine Balance herstellen, damit sich mittelfristig Strukturreformen durchsetzen lassen und Wachstum entsteht. Dafür braucht es viel Geld, Zeit und, ja, auch Vertrauen.

Jürgen Trittin mutmaßt, der deutsche Vorschlag sei „nur für die heimische Bühne“ bestimmt und solle Euro-Zweifler in der Koalition beruhigen. Dann allerdings hätte man das Papier kaum so unmittelbar vor dem heutigen EU-Gipfel platziert. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass Deutschland Griechenland aus der Euro-Zone ekeln wollte. Auf diese Art der politischen Führung hat Europa ganz bestimmt nicht gewartet.

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